Vermeintlich sichere Böden (Schauungen & Prophezeiungen)

RichardS, Freitag, 14.01.2011, 17:39 (vor 4871 Tagen) @ Winston (5821 Aufrufe)
bearbeitet von RichardS, Freitag, 14.01.2011, 17:45

Hallo Winston, grüß Dich!

Nachem ich Untiges schrieb, sehe ich, dass Dir detlef schon antwortete.
Nun machte ich mir aber schon mal die Mühe...
Mein Versuch ist kein Duplikat von detlefs Antwort, aber es gibt Überschneidungen, und ... sein letzter Schluß ist auch meiner, wie Du sehen wirst. (Und nicht böse, sondern ernsthaft gemeint.)

Du schreibst:

"Und wenn, mal angenommen, unser bewusstsein Zeit erst produziert ( was zb meine Wenigkeit "glaubt" ) wirds echt glitschelig. Daher verlege ich mich auch lieber auf Kategorien wie Freien Willen oder Freiheit."

Wenn Du das "glaubst", was du oben schreibst, dann bitte ich Dich, genau diesen Gedanken einmal festzuhalten. Ihn nicht gleich wieder verlassen, aus Angst, der Gedanke könnte zu "glitschelig" werden. Also auch nicht lieber Dich einem anderen Gedanken zuwenden, von dem Du annimmst, da befändest Du Dich auf sichererem, trockenerem Boden (ich meine hier Deine "Kategorien wie Freien Willen oder Freiheit".)

Also: Wenn Du glaubst, dass unser Bewusstsein Zeit erst produziert, ja, was ist dann mit Deinen Einwänden gegen BBouvier und detlef - fallen diese Einwände dann nicht sofort in sich zusammen?

Denn gegen die Argumentation von BBouvier und detlef wendest Du doch ein, dass der "freie Wille", dass unsere "Freiheit" (im Denken, Handeln, Tun und Lassen) dagenstünde, dass man Zukünftiges "schauen" könnte, später sich realisierendes jetzt schon wahrgenommen werden könnte - Dein Argument: da wäre ja jetzt schon festgelegt, was jetzt noch gar nicht festgelegt ist. Du führst also einen Unterschied zwischen heute und morgen (ein Unterschied, den Dir 99,99 % der schreibefähigen Menschheit sofort unterschreiben würde, von dem Du aber mit Deiner Außenseiter-Meinung gar nichts hältst, wenn Du glaubst, erst unser Bewusstsein würde Zeit produzieren). Verzichtest Du auf die Einführung des Unterschieds zwischen heute und morgen, wie unser alltäglicher Verstand es uns vorgibt, und bleibst mutig bei Deiner eigenen "Glaubens"Stange - unterwirfst Dich also nicht der von Dir behaupteten Täuschung von Zeit -, dann musst Du feststellen: Da hat einer was gesehen, was der, oder andere, oder vielleicht die ganze Menscheit erst zu einem späteren Datum (Zeitpunkt) als real sich ereignend wahrnehmen wird. Und dieses wahrgenommene Ereignis hat selbstverständlich seine Ursachen, die sich zum Teil bis auf Kategorien wie (freie) Willensentscheidungen zurückführen lassen mögen. (Von kosmischen Naturereignissen mal abgesehen.) Vielleicht erscheint Dir Dein Gedanke von einer Zeit, die es außerhalb unseres Bewusstseins gar nicht (so, wie von uns vorgestellt) gibt, zu groß und zu furchterregend, obwohl von Dir selber postuliert - doch dieser Gedanke würde es Dir ermöglichen, das Unfassbare anzunehmen, dass mancher etwas aus der "Zukunft" schon jetzt außersinnlich wahrnehmen kann, dieser Mensch für einen Moment nicht in unserer Zeitfalle sitzt.

"Wenn wir davon ausgehen, dass der Zustand auch eintrifft, dann schliessen wir also die Möglichkeit einer Abwehr resp. das nicht-Eintreffen des Zustandes aus. Ja > Somit lägen also alle "freien Willen" die zu dem Ergebnis geführt haben von vorne herein fest. Niemand KONNTE anders entscheiden und das Ergebnis irgendwie abwenden. Ja?"

Doch doch, die Möglichkeit gibt es möglicherweise. Nur wird sie von niemanden realisiert, bleibt im konkreten Fall eben nur eine theoretische oder nicht mit Erfolg realisierte. Und wird deshalb vorher auch nicht gesehen werden (ein Argument, das BBouvier und detlef nun schon häufig genug vorbrachten). Wäre irgendein Zustand abgewehrt oder einfach von niemanden realisiert worden, dann wäre dies ebenso das Ergebnis einer (freien oder sonstwie gearteten) Willensbetätigung wie ein realisierter, ein von uns als solcher dereinst wahrgenommener Zustand das Ergebnis einer solchen Betätigung sein kann. In beiden Fällen wird die Vorstellung der Existenz eines "freien Willens" nicht negiert.

Ich gebe Dir gerne zu, dass es äußerst "glitschelig" ist, sich vorzustellen, dass unsere Art der Vorstellung eines Unterschieds zwischen heute und morgen eine Täuschung ist. Das schlösse ja erstens schon einmal ein, dass dies auch für unsere Art der Unterscheidung zwischen heute und gestern gelten würde.

Und zweitens meinen wir alle doch zu "wissen", wir erfahren uns ja auch tagtäglich so, dass wir in bestimmten Vorhaben Erfolg haben und in anderen scheitern, Anschläge von außen abwehren können oder sie erdulden müssen, zweifeln, entscheiden, verzichten, umkehren und von neuem beginnen. (Wie die Generationen vor uns.) Also in einem bestimmten vorgegebenen Rahmen unser Tun und Lassen "offen" ist. So ist es nicht verwunderlich, dass unser Bewusstsein eine Zeitvorstellung konstruiert, die bildlich gesprochen einem linearen Verlauf gleicht - eine Linie, die ununterbrochen in eine Richtung vorwärtsstrebt, weder zurück, noch seitwärts, und schon gar nicht auf derselben Stelle verharrt (wie es ein Punkt wäre oder im zweidimensionellen Sinne ein Kreis oder im dreidimensionalen Sinne eine Kugel, oder das Bild des Speichenrads von BBouvier). Früher sollen viele Menschen das Erfahrungswissen gehabt haben, die Erde sei so etwas wie ein Teller und die Sonne kreise um diesen Teller, steige aus dem Unten auf in die uns sichtbare Höhe, um abends wieder ins uns verborgene Unten zu verschwinden. Menschen, die dem widersprachen, mögen verspottet und verbrannt worden sein. Heute sind wir klüger, der Fortschritt ist nicht unaufhaltsam, sondern hat in unseren Tagen sein glorreiches Endstadium erreicht. Weshalb es auch gar nicht anders sein kann, als dass wir nicht nur Bescheid wissen, wie es in Wahrheit um die Erde und ihr Verhältnis zur Sonne steht, sondern dass uns auch vollkommen klar ist, weil ja offensichtlich, dass zwischen heute und morgen ein so gravierender Unterschied ist, dass nie und nimmer schon heute ein "Seher" definitiv und unumstößlich etwas richtig sehen kann, was doch erst morgen auch für uns alle wahrnehmbar sich zeigen wird - weil ja doch, der "freie Wille" usw., so wie wir ihn verstehen wollen (oder momentan müssen), dann in Frage gestellt werden müsste...
(Die Zweifel an der landläufigen Vorstellung des "freien Willens" sind in dem Faden ja schon an anderer Stelle angeführt worden.)

Vor dem Paradoxon, dass wir "Zeit" und die "Freiheit des Willens" als real gegeben erfahren (wir beides als mehr als bloß unsere geistige subjektive Konstruktion wahrnehmen) und dass es doch in der Vergangenheit Seher gab, wie der vorliegenden Literatur entnehmbar, die etwas, was zum Zeitpunkt ihrer Vision noch gar nicht geschehen war, bereits wahrgenommen (gesehen, gehört) haben, kann man Reißaus nehmen. Man kann sich auf die Grundüberzeugungen unseres heutigen Alltagsverstands zurückziehen - also das Definitive einer Zukunftsschau hin zu einer bloßen Wahrscheinlichkeit relativieren, welche sich realisieren könnte oder eben auch nicht, je nach dem, wie sich Menschen künftig willentlich entscheiden werden. Oder man hält beides fest, und hat damit nicht nur ein, sondern mindestens zwei Probleme. Dass nämlich unser Zeitbegriff weniger selbstverständlich ist als er erscheint - und dass zweitens auch unsere Vorstellungen vom "freien Willen" nicht so einfach und wie selbstverständlich als richtig vorausgesetzt werden dürfen, nur weil wir unsere Willensbestätigungen so zu erfahren glauben.

Es gibt wenige Menschen, die Zweifel wie die im obigen Absatz angesprochenen aushalten. Einfacher ist, sofern man solche Themen nicht gleich ignoriert, sich einfach auf eine Seite eines Paradoxons zu stellen, um die andere damit erschlagen zu können. Womit keine Seite des Paradoxons in ihrer Härte gedacht wird, sondern es wird die eine negiert und die andere wird sich falsch, vordergründig als in sich geistig durchdrungen gedacht.

"Mal ne Frage, wer will denn dass die Zukunft unausweichlich ist > ( Und bitte nicht falsch verstehen - ich würde die Zukunft auch gerne kennen - aber dazu müssen wir die Zeit verstehen ..)
Einzig unausweichlich scheint mir doch der freie Wille zu sein."

Zu Deiner Frage: Was wir wollen (uns also gerne wünschen würden), ist völlig unerheblich auf der Ebene eines geistigen Durchdringens.
Und wenn Du selbst konstatierst, dass Du mit dem richtigen Verständnis von Zeit ein Problem hast (was ich Dir gerne glaube; auch ich habe es), dann musst Du Dich an die Lösung dieses Problems machen - oder es hinnehmen, dass hier für Deinen Verstand etwas offen und ungeklärt bleibt (hinnehmen, aber nicht verdrängen!) - auf keinen Fall aber solltest Du mirnichtsdirnichts, wenn es Dir gerade mal gelegen kommt, ein (dann plötzlich als gegegeben unterstelltes) Zeitverständnis (welches Dir doch, wie Du vorher gerade noch zugegeben hast, abgeht) als scheinbares Argument gegen etwas Drittes verwenden - hier: dagegen, dass es richtige, und das heißt nun einmal ganz unsanft ausgesprochen: Visionsinhalte geben kann, die trotz des "freien Willens" sich als real dereinst bestätigen werden (ohne dass damit die Existenz des menschlichen Willens geleugnet würde - dass hier eine Leugnung vorläge, müsstest Du im Übrigen mal nachzuweisen versuchen, nicht bloß behaupten).

Wer glaubt, dass seine Vorstellung von "Freiheit" widerlegen würde, dass es Schauungen geben kann, die kollektives menschliches Handeln betreffen, welches sich ereignen wird, wer glaubt, "Freiheit" bedeutete, Schauungsinhalte (Naturereignisse mal beiseite gelassen) könnten höchstens Wahrscheinlichkeiten niederen oder höheren Grades beschreiben, ähnlich den Prognosen irgendwelcher Wissenschaftler, ähnlich den Phantasien von Science-fiction-Autoren usw., der vertut seine Zeit in diesem Forum. Denn er erhält hier nur Brocken, über deren Qualität manchmal munter diskutiert wird, anhand diverser immanenter und externer Kriterien, und über die meist, fast immer auch nach langen Diskussionen keine Einigkeit (letztere ist ja für sich ohnehin kein Kriterium) hergestellt wird - und muss zu jedem Brocken ganz jenseits und ganz unabhängig von jeder Diskussion, also schon vor ihrem Anfang und noch nach ihrem Ende immer das sagen, was er immer schon vorher weiß:

"Nee da bleibe ich hartnäckig. Die Prophezeiung kann genauso gut eintreffen wie die Schauung nicht eintreffen kann. Und umgekehrt."

Ja, eben, wenn alles möglich ist, auch das Gegenteil, oder gar nichts, also auch was ganz anderes, das andere aber ebenso unbestimmbar bleibt und bleiben muss, dann werden Dir die hier diskutierten Inhalte keine Kriterien an die Hand geben, die Du in Dein praktisches Leben einbeziehst. Richtig? Falls doch, aus welchem guten Grund?

So wie ich dieses Forum kenne, ist es nicht so, dass hier alle gegen das Theoretisieren auch auf einer Metaebene wären - wenn es denn immanent schlüssig erscheint -, im Gegenteil: für manche ist die Klärung (Klärung heiß nicht bloßes Herumrühren) von Fragen, die sich aus der Faktizität der Nicht-Beliebigkeit von Schauungen ergeben, ein brennendes Bedürfnis - dies aber, weil letzterer eine praktische Bedeutung zugemessen wird. Wer letzteres nicht teilt und zu ersterem keinen Erkenntnisfortschritt bringt, ist unnütz - hier.

Gruß
Richard


Gesamter Strang: