Linien (Schauungen & Prophezeiungen)

Sagitta, Montag, 02.11.2015, 01:11 (vor 3104 Tagen) @ BBouvier (2388 Aufrufe)

Hallo BB!

Was einen kurzen (dritten) Krieg betrifft,
so sind die frz. Prophezeiungen des 19. Jahrhunderts
doch voll davon
! ...

Das kann man wirklich nicht sagen! Es gibt nur wenige Spuren zu einem russischen Krieg bei den FranzosINNen des 19. Jahrhunderts: Mattay (fraglich), Antonius (brauchbar), Abbé Souffrand, Rosa Comlomba. Einige Male sind die Russen mit den Preussen zusammen (ist ja nur ein Buchstabe Unterschied ...). Doch kann man sie auseinanderhalten. Antonius etwa schreibt: "Je crus celle-ci d'abord hostile aux Prussiens; mais, à leur arrivée, elle fit sa jonction avec eux contre les Français." (Seite 523, Bd. II Curique). Nur die Ekstatische von Tours, auf die dankenswerterweise Ulrich im vergangenen Juni hingewiesen hat, hat die Puzzlestücke vereint: Krieg & Revolution, Kürze des Schlußgeschehens, Naturkatastrophen. Bei ihr fehlen allerdings die Russen. Am ehesten würde ich, wenn der Prophet der Feldpostbriefe das französische Traditionsgut nutzt, die Ekstatische als seine Quelle ansehen. Er hat aber die Dreizahl von Kriegen in einem Jahrhundert (sowie die Russen als Hauptakteure des letzten Krieges). Das ist neuartig und bis dahin nach meinem Wissen unbekannt in der Prophezeiungstradition. Jedoch Emrich hat sie 1938. Bei ihm aber spielen die Russen wiederum keinerlei Rolle. Es ist wie eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Dennoch hat man das Gefühl, als gehöre alles irgendwie zusammen ...

Sicher ist für mich aber eines: die Russen spielen vor dem Zweiten Weltkrieg in der Prophezeiungsliteratur keine wirklich bedeutende Rolle. Ich verweise auch auf das Lindenlied, das keinen ";(dritten) Krieg" kennt und auch keine Russen. Es gibt den Stand 1922 wieder. Nebenbei bemerkt: "Bunter Fremdling, unwillkommener Gast", passt besser auf die gegenwärtigen Verhältnisse als auf die Russen ...

Vielleicht ist es tatsächlich so, wie Ulrich es andeutet: dass man nach dem Zweiten Weltkrieg sich an die diversen Elemente aus der Tradition erinnert hat, und die Feldpostbriefe spiegelten die aktuelle Situation dieser Jahre (russische Bedrohung) am besten wider. In der Folgezeit wurde das dann breit ausgetreten bis in die 1990er Jahre (Adlmaier, Bekh). Dann plötzlich war alles falsch. Ziemliche Verwirrung in der Szene! Und jetzt sieht man, dass es sich doch entwickelt - aber unter merkwürdigen Verhältnissen: die Russen sind nicht mehr die Kommunisten sondern sie erscheinen jenen als "Retter", die das vor 30 Jahren gar nicht so gesehen hätten (De Gard würde sagen: gut gemachte Täuschung!).

Ein Fazit ist auch: eine Prophezeiung/Schauung ist für sich genommen wertlos. Es gibt keine, die eine so eindeutige Aussage macht, dass man sie 1:1 auf die geschichtliche Wirklichkeit beziehen könnte. Prophezeiungen/Schauungen müssen immer im Kontext anderen Prophezeiungen/Schauungen gesehen und ständig neu gegen die Wirklichkeit gehalten werden. Und das ist ein mühsames Geschäft.

MfG, Sagitta


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