Filmvisionen (Schauungen & Prophezeiungen)

gecko, Mittwoch, 11.01.2023, 15:07 (vor 481 Tagen) @ Nullmark (640 Aufrufe)

Hallo 0,--M

Ob sie nun einer Eingebung folgten oder nicht: Die Erfinder von Metropolis haben vor 100 Jahren eine Entwicklung dokumentiert, die sie in dieser Detailtreue unmöglich aus den damaligen Umständen und vorhandenen individuellen Erfahrungen ableiten konnten.

Ohne den Film ganz gesehen zu haben (nur die kurzen Sequenzen aus dem von Dir verlinkten Video):
ich bruttle mal ein bißchen gegen "unmöglich ableiten".
Kreative Köpfe, wie Drehbuchschreiber nunmal sind, nehmen selbstverständlich neben bloßen Ableitungen auch phantasievolle Gedanken auf, etwa Jacques Offenbachs "Olympia" (die Puppe, die zum Leben erweckt wird) bzw. den "mechanischen Türken" (angeblich eine Maschine, die Schachspielen konnte), und selbstverständlich auch alle Spielarten der Volksfrömmigkeit (Maria als beschützende Mutter).

Was ich interessant fand, waren die Gebäudeszenen mit den riesenhohen Gebäuden, bei denen auf halber Höhe Züge über Brücken fuhren und kleine Doppeldecker Taxi spielten (allerdings scheint das nicht ausgeführt zu werden, wie die landen). Ähnliche Szenarien, nur mit weiterentwickelten Fluggeräten, finden sich in "das 5.Element", und vor ca. 10 Jahren gab es mal so eine lose Architektengruppe im Umfeld vom WEF, die "Megacities" aus kilometerhohen Gebäuden visualisierten (in der Ästhetik allerdings noch ärmlicher als Termitenhaufen, und somit weit hinter der Metropolis-ArtDeco-Pracht zurückbleibend).
Manhattan war im 20.Jdht der symbolische Ort dafür (es gab/gibt dort auch Hubschraubertaxi), der am 11.9.2001 seinen symbolischen Knick bekam. Hochhausmegastädte gibt es inzwischen viele, und besonders viele in China. Die höchsten Gebäude (Dubai, Taipeh, wasweißichnochwo) haben inzwischen den Kilometer geschafft.
Hinsichtlich Städtebau sehe ich da eine starke Extrapolation der damals neuen Möglichkeiten hinsichtlich Hochbau, die vielleicht schon als eine Art Vision angesehen werden kann, die neu war - ich bin mir nicht sicher, was damals alles schon gebaut war.

Ein anderes Thema des Films scheinen Weiblichkeitsmythen zu sein, da gibt es die kreatürliche "Untermenschen"-Mutter, die die Kinder in den Lustgarten und wieder herausführt, und den zur Frau umgeschaffenen Roboter, dem alle nachlaufen, bis er als Hexe verbrannt wird und wieder in Mechanik zerfällt. Dies scheint mir allerdings ein recht neues literarisches Motiv zu sein, dem ich bisher noch nicht begegnet bin.
Die Arbeiteruntergrund- vs. "Kapitalisten"-Welt-Thematik war damals zur Zeit heftigster Industrialisierung und starker gewerkschaftlicher Organisation, Ruhrkampf, Rohrpost und wasweißichnochalles jedoch der allgemeine Zeithintergrund und tägliches Erleben und ist mMn insofern nichts besonderes.
Das Spezielle scheint mir die ästhetische Verarbeitung - der Stil - und die Frauenmythologie zu sein ("natürliche" im Gegensatz zu "künstlicher" Frau). In der Hinsicht ist es vielleicht tatsächlich was neues, ähnlich wie die Idee mit der Zeitmaschine von HG Wells, nicht nur Verlängerung von Tendenzen.

Gruß, gecko


Gesamter Strang: