Es geht mir nicht um N. I. (Schauungen & Prophezeiungen)

Nullmark, Dienstag, 10.01.2023, 21:47 (vor 482 Tagen) @ Taurec (852 Aufrufe)

Guten Tag @Taurec

Das ist wohl wieder ein Beispiel, wie sich moderne Menschen von technischem Fortschritt (also vom großen, quasireligiösen Mythos ihrer Zeit) faszinieren lassen, als wäre es nicht eine der trivialsten Tatsachen unserer Epoche. Wer sich nicht nur von Erfindungen in den Bann schlagen läßt, die er persönlich nie zu machen in der Lage wäre, als sei es reine Magie, sondern den steten Verlauf der technischen Entwicklung hin zu einer vom Menschen gemachten Imitation der Schöpfung begriffen hat, dem ist es durch lineare Extrapolation in die Zukunft natürlich schon damals treffend zu prognostizieren möglich gewesen, daß es Fluggeräte, Autotelefone, Bildtelefone, Roboter usw. geben würde. Dafür mußte man kein Seher sein. Was wir heute "künstliche Intelligenz", "Transhumanismus" nennen, war bereits damals als Ziel der Entwicklung implizit angelegt und konnte von wachen Menschen jener Zeit, die noch größere klassische Bildung und Bindung an die traditionelle Welt besaßen und wie damals jeder (!) Intellektuelle Spengler gelesen hatten, durchaus als dräuende dämonische Gefahr der technischen Zivilisation erahnt werden.

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Ich stimme weitgehend zu. Aber wir schreiben das Jahr 1925. Und das Wissenspotential damals ist mit heute nicht vergleichbar.
Neben Oswald Spengler hat beispielsweise Theodor W. Adorno Speng­lers Ansichten als "anti-auf­klä­re­ri­sche Ver­klä­rung der Geschichte" heftig kritisiert. Das stellt Spengler natürlich nicht infrage, relativiert aber die Länge des prognostizierten "Kulturzyklus".
Demnach sind die Entwicklungen der letzten 100 Jahre eben nicht trivial und sind entsprechend beinflusst und in die eine oder andere Richtungen gedrängt worden.

Keine Frage. Speng­ler hatte prä­gen­den Ein­fluss auf die intel­lek­tu­el­len kul­tur­pes­si­mis­ti­schen und anti-demo­kra­ti­schen Dis­kurse und Ideen der Wei­ma­rer Repu­blik. Ob aber Fritz Lang oder Thea von Harbou seiner zykli­schen Geschichts­phi­lo­so­phie folgten, nach der sich das Leben und Abster­ben von Kul­tu­ren indi­vi­du­el­len organischen Lebens­pro­zes­sen analogisiert, halte mit Blick auf deren Gesamtwerk für mindestens zweifelhaft. Jedenfalls habe ich bis dato keine diesbezügliche Hinweise gefunden, weder bei Lang noch bei Harbou.

Auf mich wirkt das überinterpretiert, weil er seinen gedanklichen Ausgangspunkt ("versteckte Prophezeiung", "sublime Botschaften") überstrapaziert.

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Mir geht hier es nicht um Mittel und Methoden von N.I. und deren Wirkung auf den Betrachter und auch nicht um die angeführten freimaurerischen Aspekte dieses Filmes. Der Mann ist zweifellos gut und seiner Argumentation mag man folgen oder nicht.

Der Film Metropolis geht auf eine literarische Vorlage von Thea von Harbou zurück, die auch das Drehbuch für Metropolis verfasst hat. Ihre Vita und auch die von Fritz Lang geben nichts her, was auf den Hintergrund einer herausragenden naturwissenschaftlichen oder besonderen technischen Begabung verweist, die auch „technisches“ erträumen lässt. Aber als Kind einer Fotografenfamilie, als Schriftstellerin und Drehbuchautorin hatte Thea von Harbau außerordentliche Fähigkeiten aus dem eigenen Gedankenkarussel auszusteigen, um Umwelt und Umfeld genau beobachten zu können und daraus Entwicklungen und Tendenzen abzuleiten.

Nicht zu vergessen, dass in den Jahren der Entstehung von Buch und Film der Weimarer Republik gerade eine Atempause vergönnt war, in der Inflation und Not weitgehend überwunden waren und die Wirtschaft sich etwas stabilisiert hatte.
Vielleicht haben von Harbau und Lang damals erkannt, dass da gerade eine Entwicklung eingeleitet wurde, die im Ergebnis zu einer ausgeprägten Zweiklassengesellschaft führen musste und dies in Metropolis mit allen von ihnen (voraus)gesehenen Merkmalen und Folgen dargestellt haben. Wie diese Entwicklung tatsächlich verlaufen würde, konnten sie nur denken i. S. von schauen.
Ob sie nun einer Eingebung folgten oder nicht: Die Erfinder von Metropolis haben vor 100 Jahren eine Entwicklung dokumentiert, die sie in dieser Detailtreue unmöglich aus den damaligen Umständen und vorhandenen individuellen Erfahrungen ableiten konnten.

Gruß
0,- M


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