Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Blutregen (Schauungen & Prophezeiungen)

Fred Feuerstein, Montag, 31.01.2011, 19:34 (vor 4840 Tagen) @ Fred Feuerstein (3383 Aufrufe)

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Blutregen. Unter B. (auch Wunder¬regen, Staubregen usw. genannt) ist ein meist rötlich gefärbter Staubfall zu ver¬stehen, der sich aus Kieselsäure, Tonerde, Eisen- und Kupferoxyden in feinsten Teilen zusammensetzt. Er ist ein Ver-witterungsprodukt der Sahara, wo er durch ungeheuere Winde in einer Aus¬dehnung von ca. 10 Breitengraden aufge¬wirbelt und im westlichen Küstengebiet Afrikas niedergeschlagen wird. Durch liehen Luftdruck wird zuweilen ein Teil dieser Staubmassen in hohe Regionen emporgehoben, hier von ändern von S. nach N. streichenden Winden mitgerissen und über Südeuropa, gelegentlich auch uber Nordeuropa abgelagert, zuweilen mit Regen untermischt, aber auch trocken. Nach Verdunstung des Wassers bleiben vom Staubregen die Staubsub¬stanzen in rötlicher oder gelblicher Farbe zurück. Diesem durch Passatstaub gebildeten B. steht der durch Tiere hervorgerufene B. gegenüber, der da¬durch hervorgerufen wird, daß Bienen und Schmetterlinge beim Aus¬fliegen bzw. Auskriechen aus der Puppe einige Tropfen Blut lassen. Ferner veran¬laßt das massenhafte Auftreten der Blut¬

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alge sowie der Wundermonade roten Flüssigkeitsfall1).
Der B. ist als P r o d i g i u m von allen antiken Völkern, den Arabern und den Völkern des abendländischen MA.s an¬erkannt worden. Vor allem den Römern galt, wie aus der zu vielen Jahren römi¬scher Geschichte von Livius gegebenen Prodigienliste hervorgeht (XXII l; XLIII 13), der B. — meist übrigens mit Meteor¬fall und Erdbeben verbunden — als Wun¬derzeichen des Himmels, das entweder den Zorn der Gottheit ankündigte oder Krieg bzw. ein anderes Unglück als dem Staate drohend ansagte (vgl. die Prodigien bei Caesars Ermordung: Ovid. Met. XV 788: saepe inter nimbos guttae cecidere cruentae).
Die erste Nachricht von einem B. in Deutschland stammt aus dem Jahre 640. Auch in Deutschland wurde B. im all¬gemeinen als böses Wunderzeichen Gottes aufgefaßt. Mit Weihungen und frommen Stiftungen suchte man den Zorn Gottes zu versöhnen. Da so die Kirche diesen Wunderzeichen Beachtung zu schenken scheint, wird der an den B. anknüpfende
deutsche Aberglaube auf antiken Einfluß zurückgehen und mit der Christianisie¬rung nach Deutschland gekommen sein. Auch für die Deutschen bezeichnete B. vor allem kommenden Krieg. Als Guts nach Spanien auszog, regnete es Blut, wie wir in den Chansons de geste lesen. Erasmus Franziscus ..Luftkreys" berichtet zum Jahre 1668, daß auf den in dieser Zeit beobachteten B. der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich gefolgt sei. — Ob die Verse in Schillers Wallenstein:
,,Und aus den Wolken blutigrot, hängt der Herrgott den Kriegsmantel runter" hierher gehören, bezweifle ich ; ich möchte sie lieber auf das Krieg kündende Abend¬rot (s. Abendröte) deuten.
Außer Krieg und Blutvergießen weis¬sagte man aus niedergefallenem B. ge¬legentlich auch die Pest. In diesem Sinne deutete man den 1646 in Schäßburg in Siebenbürgen niedergegangenen B. Den 1349 in Süddeutschland und Öster¬reich beobachteten B. sühnte man in Kelheim a. Donau, wie Lycostenes in seinen

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Prodigia berichtet, durch einen steinernen Tempel, den man ,,zum heiligen Blute" benannte, wohl mit Beziehung des B.s auf das Blut Christi. Gelegentlich be¬gegnet sogar die Nachricht, daß man die Erscheinung, zumal mit Blitz, Donner und Sturm wahrgenommen, als Ankün¬digung des jüngsten Gerichts auffaßte.
Die Vorstellungen sind bis auf unsere Zeit unverändert im Volksmunde weiter überliefert worden. Aus Böhmen-Mähren und ändern deutschen Gebieten ist immer die Vorstellung vom Krieg und Blutver¬gießen als Folge von B. zu belegen 2).
1) Ehrenberg Passatstaub u. B. in Abhdi. Berl. Ak. 1847: Hellmann und Meinardi Der große Staubfall vom 9.—12. 5. zpoz. Abbdi. Berl. Ak. 1901; HandWb. d. Naturwiss. i (Jena 1912), 623 s. v. Passatstaub. Einzel¬beobachtungen lokaler Art in Meteorol. Zeit¬schrift 1903. 2) Viel Material zu datierten B.-erscheinungen findet man bei Ehrenberg I.e., ferner bei Lycostenes Pyodigia (stets in Verbindung mit Krieg). Ich verweise auf die Notizen zu folgenden Jahren (die An¬gaben in der Klammer bezeichnen den Ort, wo der 38. beobachtet wurde): 541 (Gallien), 1114 (Oberitalien), 1165 (Dali [England]), 1137 (ohne Ortsangabe), 1531 (Lissabon) 1539 (Bel¬gien), 1542 (bei Warendorf [Westfalen]), 1552 (Frankreich). Vgl. auch Amersbach Grim¬melshausen 2,73 (mit vielen Zitaten); Keller Grab des Aberglaubens 3, 167 f.; 4, 90 ff. Stegemann.


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