Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Antichrist Teil1 (Schauungen & Prophezeiungen)

Fred Feuerstein, Montag, 31.01.2011, 19:30 (vor 4839 Tagen) @ Fred Feuerstein (3545 Aufrufe)

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Antichrist. I. Der A. in der Bibel. Die Sage vom A. geht auf eschatologische Äußerungen im N.T. zurück. l. Joh. 2, 18;
4, 3; 2. Joh. 7 kennen allein die Gestalt unter dem Namen αντίχριστος;. — Die Stelle wird als Zeugnis angeführt, daß zur Zeit der Abfassung des Briefes der A.-Glauben durchaus verbreitet war. Man wird ein¬schränken müssen: in den kleinasiati¬schen Gemeinden, an die der Brief ge¬richtet ist. Der Schreiber wendet den Ausdruck (2, 18) auf christl. Häretiker an (4, 3; 2, 22; 2., 7); es sind viele A.e, und das sind die gnostischen Irrlehrer 1). Da¬mit wird eine Deutung angeschlagen, die lange nachklingt, und die später von Origines bevorzugt wurde. — Der paulinische Begriff vom A. ist (sofern 2. Thessal. von Paulus herrührt) 2) wesentlich anschaulicher. Zwar wird der Name nicht genannt, aber man ist seit den ältesten Zeiten darin in Übereinstimmung, daß der große Frevler der A. sein soll. Er ist hier so gezeichnet, wie ihn die spätere Sage kennt: der Gesetzlose, den Satan mit Kraft begabt, der im Tempel sitzen wird (das spricht für jüdische Herkunft der Sage3); die Tempelschändung ist das ärgste; vgl. Dan. 9. 27; II, 36) und sich dort als Gott ausgibt, der Wunder tut, bis ihn Christus mit dem Hauch seines Mun¬des tötet. Noch wird er zurückgehalten:
,κατέχειν"heißt in dem wohl absichtlich zwischen masc. und neutr. schwankenden apokalyptischen Terminus `in Banden halten‘ 4). Der A. ist der Gebundene, der am Ende der Welt hervorkommt und Vernichtung bringt, der gefesselte Un¬hold, Satan selbst5).
In der Apokalypse Joh. sucht man den A. in einem der beiden Tiere c. 13, und zwar deutete man das Tier aus dem Meere auf das röm. Imperium, das zweite Tier auf den A. Die sieben Häup¬ter des ersten Tieres sind sieben Cäsaren. Ein Haupt scheint tödlich wund, wird aber heil. Zur Zeit des sechsten Hauptes

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schreibt Johannes (17, 10); das Tier (17, 8) ist das achte. Die Deutung auf Nero als das wiederkehrende Tier wird durch Zeugnisse aus dem damaligen Volks¬glauben ebenso gestützt 6), wie durch die Ausrechnung der Zahl 666 == als Drei¬eckszahl von 8, was auf 17, 11, den wieder¬kehrenden Nero gehen würde, oder ge-matrisch p-i3 "isp === Käsar Neron.7). Das zweite, nicht näher gekennzeichnete Tier, wird 16, 13; 19, 20; 20, 10 ψευδοπροφήτης genannt. Bousset erklärt: ,,Die spätere Apokalyptik des Judentums hat eine doppelte Ausprägung des großen gött¬lichen Widersachers geschaffen; sie faßte diesen bald als einen gottfeindlichen, furchtbaren Herrscher, bald als einen verführerischen Propheten"8). Lohmeyer weist dagegen9) auf Mark. 13, 2l f. hin, daß vorm Ende ΨΕΥΔΌΧΡΙΣΤΟΙ ΚΑΪ ΨΕΥΔΟ- ΠΡΟΦΗΤΑΙ, erscheinen würden. — Von allen neueren Exegeten angenommen 10) ist Gunkels Erklärung11), daß als Prototyp für die beiden Tiere die Urungeheuer Behemoth (s. d.) und Leviathan (s. d.) zu gelten haben, die aus dem Tausend¬gebirge und dem Meer aufsteigen und gegen Gott angehen. Die alten Wider¬sacher aus der Urzeit leihen jetzt dem A. Gestalt, werden christianisiert und po-litisiert. Johannes sah Nero redivivus als A. kommen12). — Zu diesem Bilde haben die Synoptiker (Mark. 13, 2l f.; Luk. 2l, 8; Matth. 24, 4 f. und Johannes 5, 43) einzelne Züge gefügt, die uns doppelt wichtig wären, wenn wir sie als echte Herrenworte ansehen dürften.
Nicht sehr viel später als die A.¬Schilderung der Joh.-Apokalypse — um die Wende des l. Jhs.13) — entstand eine Beschreibung des A.s, welche bereits viele der späteren Züge aufweist; das Stück ist in die Ascensio Jesaiae aufgenommen. Beliar steigt herab, nimmt die Gestalt des Muttermörders (Nero) an, zerstört die Pflanzung der 12 Apostel; einer der 12 fällt ihm zu. Wunder tut er; er läßt sich als Gott anbeten, stellt sein Bild auf, die Gläubigen fliehen zur Wüste. So regiert er 3 Jahre 7 Monate und 27 Tage = 1332 Tage (vgl. Dan. 12, 12), bis Christus mit seinem Heer herniedersteigt

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und Beliar mit seinem Heer in die Ge¬henna schleppt (Asc. Jes. 4, l—15) 14). Wenn man mit Bousset15) eine münd¬liche Tradition annimmt, die bis in die Tage des Hippolyt und Martin von Tours reichte, wird man sich den A. der münd-lichen Überlieferung ungefähr in dieser Gestalt vorstellen dürfen 16).
Ob und wie groß der Einfluß eines gnostisch infizierten Judentums auf die Bildung der A.-Legende gewesen ist, hat M. Friedländer 17) festzustellen versucht. M. E. sind zeitgeschichtliche Begeben¬heiten nicht stark genug, solchen Nach¬druck zu hinterlassen, und wir werden um die mythische Grundlage nicht her-umkommen.
1) W. Bauer Evangelium, Briefe und Of¬fenbarung d. Johannes 1908 3 336. 348. 2) Mar¬tin Dibelius im Lietzmannschen Handblich z. N.T. 1925, Bd. n 2, 48 f. 3) Ebd. 39. 4) Ebd. 5) Ebd. 40 ff.; vgl. A. Olrik Ragnarök c.5.6; Kaarle Krohn in Fin¬nisch-ugrische Forschungen 7, 129 ff.; v. d. L e y e n in ,,Prager deutsche Studien" H. 7. Satan: Aug. Frh. v. G a 11 Baoi?.eia TOÜ ä-sou 1926, 295 f. 6) Bauer 401 f.; Rohde Psyche 2? 377 1- 7) Lohmeyer 115 f. u. Ztschr. f. neutestamentl. Wiss. 13, 293 ff. Vgl. ebd. 19, ii ff.; Wil h. Bousset Die Offenbarung Jo-hannis 1906, 374. 369 ff. 8) Ebd. 377 f. Vgl. Carl Weizsäcker Apostol. Zeitalter d. christl. Kirche 1892 2, 496 ff. 9) L o h m e y e r im Lietzmannschen Handbuch 1926. Bd. 16, in f. Doch vgl. dazu unten III 3 u. Carl Weizsäcker Das apostol. Zeitalter d, christl. Kirche 1892, 496 ff. 10) Ebd. iioff.;
Bousset 378 f.; RGG. 2 i, 375 f.; v. Galt 292 Nr. i. u) Schöpfung und Chaos 51; H. G unke l Genesis 1917 4, 122; Bousset-Greßmann Religion des Judentums 1926, 25i. 254. 12) RGG.2 i, 375 f. 13) Edgar Hennecke Neutestamentl. Apokryphen 1904. 292. 14) Ebd. 295f.;v. Gall 294. 15) Anti-christ 18 f. 16) Vgl. dagegen Bousset 53 zu dieser Stelle, dessen Bedenken (jüd. Her¬kunft) m. E. hier nichts austragen. 17) Der Antichrist in den vorchristi, jüdischen Quellen 1901, 132 ff.
II. Jüdische Grundlagen der A.- Sage. Bousset setzt die Ent¬stehung der A.-Legende vor die Abfassung der Apoc. Joh., ja geraume Zeit vor die Zerstörung Jerusalems. Dann müssen ihre Grundlagen jüdisch sein. Der End¬kampf Gottes ist ein Kampf gegen Un¬getüme (siehe I). Auch der Kampf gegen die Weltmächte wird als solcher gezeich-

net: Jes. 27; Dan. 7, ll f; 8, II f.; l* Sal. 2, 25; endlich gestaltet sich der Endkampf zum Kampf gegen Beliar 18): BUCH der Jubiläen 23, 29 19), Testamente der 12 Patriarchen, Levi I820a), Evg. Joh. 16 II. Assumptio Mos. 8ff.20b, Apoc. Joh. l;
— Die Vorzeichen des Weltendes sind ebenfalls der jüd. Apokalyptik entnommen (vgl. Eschatologie). Hinter dem Judentum steht die spätiranische Anschauung vom Wiedererscheinen des letzten ,, Gesandten" = Mithras: ein falscher Gesandter erscheint; es gibt in der Welt nicht solchen Trug, List, Zauberei, die er nicht vermöchte durch die Kraft seines Vaters, des Dämonen, Er verkündet: Seit langem habt ihr gehofft Gottes Sohn, Mithra, der Erlöser, soll kommen; jetzt bin ich gekommen; Verehrung sollt ihr mir darbringen, an mich sollt ihr glauben. Reitzenstein sagt dazu daß auf einem Boden, wo die Vorstellung von einem Kampf des Lichtgottes gegen den Dämon uralt ist und die Vorstellung von άντιΟεοι, in hellenistischer Zeit fortlebt, die A.-Vorstellung ihre Wurzel gehabt haben muß; in das Judentum ist sie nur übertragen.
18) Bousset-Greßmann Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter 1926, 251 ff.; Hauck RE. i s. v.; BOUSSET Antichrist 81. 19) Bousset-Greßman 333 ff. 20a) Kautzsch Apokryphen u. Pseudoepigraphen d. alten Testaments 1900. 20b) Reitzenstein in Ztschr. f. neutestamentl. Wissensch. 20, 16 f. Doch vgl. v. Gall 1926, 291. 296 ff.; Scheftellowitz in ZfMissionskunde 42 (1927), 287 f.
III. Die A. Sage im l. Jahrtausend. I. Der A. ist die Hauptgestalt der mittelalterlichen Eschatologie Verhältnismäßig wenig wird im 2.und 3. Jh.: von ihm gefabelt. Dieser Zeit ist der A. = Nero redivivus, so schon im l.Jh.: Sib.5, 33 f., 214—227; 8. 139 bis 159; Ascensio Jesaia 4, 2 ff., später Victorinus von Pettau (gestorb. 303) in seinem Apoc. Kommentar 21), Lactanz, de morte pers. 2, Hieronymus in Dan. II, l7, Augustin, de civitate dei 20, 13 22). Das währt bis ins späte MA.: Beatus von Liebana (gestorb. 798) 23) und Otto v. Freising, Chronicon I.3 c.16: Arbitantur, Nero-

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nem non mortuum, sed humanis rebus vivum subtractum, usque ad ultimum tempus in ea qua tunc fuit aetate appa-riturum, ipsumque fore Antichristum 24).
2. Daneben geht der Glaube an den Katechon her, als den man das Imperium verstand 25); der A. kann erst erscheinen, wenn dieses untergeht 26), wenn der römi¬sche Kaiser auf dem Ölberg seine Krone Gott zurückgibt 27).
3. Bousset hat nachzuweisen ver¬sucht 28), daß Irenäus 29) wie Hippolyt noch einer mündlichen Tradition gefolgt sind. Hippolyt parallelisierte Christus und den A. Περί του Άντιχρίστουc. 6 heißt es:
Ein Löwe ist Christus und ein Löwe der A.; in der Beschneidung kam der Heiland in die Welt, und er wird in gleicher Weise kommen usw.30). H. hat auf diese Weise wohl neue Züge für das Bild des A.s ge¬wonnen; daneben benützte er uns ver¬lorene Traditionen (c. 15 ; und ein andrer Prophet sagt, der A. wird seine Macht versammeln von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang usw.) 31). Bousset 32) hat diese Traditionen in Verbindung ge-bracht mit einer Sibylle (deren Über¬arbeitung Sib. 2, 154 ff.), die wieder Lactantius (Inst. div. 7, l6) und Commodian (Carmen apologeticum) benützten 33). Ge¬mein ist der Gruppe Lactanz, Commodian und Martin v. Tours (Sulpicius Severus Dialogus 2, 14) der Glaube an einen dop¬pelten A.34). Die beiden Tiere Apoc. Joh. 13 werden auf Nero, den dämonischen Herrscher, und einen in Jerusalem er-scheinenden A. gedeutet. Diese Anschau¬ung läßt sich bis in das l6. Jh. verfolgen35). Die Deutung des ersten Tieres auf Nero lag, wie wir sahen, nahe; daß man im zweiten Tier den A. sah, dürfte seinen Grund darin haben, daß es zwei Hörner hatte gleich wie ein Lamm, ohne ein Lamm zu sein. Der gehörnte Widder ist in Israel Symbol des Messias: ,,Mann der Hörner" wird er genannt 36). Die Fassung der A.-Legende bei Sulpicius Severus, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, gibt wieder, was man im 4. Jh. im Westen vom A. zu erzählen wußte.
4. Den größten Einfluß auf die Ausgestaltung des Glaubens hat eine Gruppe

eschatologischer Schriften oströmischer Herkunft gehabt. Dort entstand im 4. Jh. eine Sibylle. Sackur findet in ihr37), Begebenheiten aus der Zeit um 360 widergespiegelt; Bousset dachte 38) zweifelnd an die Zeit Constantins I., die wohl in Frage kommt, wie ein Ver¬gleich der Sibylle39) mit Eusebius K. G.. VIII—X ergibt; der ungerechte Herr¬scher ist Maximin, der verheißene Con-stans Constantin I. Aber dahinter scheint noch ein älterer, Alexander der Große, zu stehen 40). Fast zu gleicher Zeit entstand Pseudo-Ephraems Sermon von A.41); aus ihm und der Sibylle geht die syrische Schrift des Pseudo-Methodius Ende des 7. Jhs. hervor 42), die von einem fränki¬schen Mönch syrischer Herkunft, Petrus, ins Lateinische übersetzt wurde 43). Doch müssen, wie sich aus der Scholasticus Fredegarius Chronik c. 66 erweist, schon um 642 Nachrichten über Gog und Magog (s. d.), deren Zusammenhang mit der A.¬Legende bekannt ist, nach dem Westen gekommen sein44). Wir haben dabei wohl an die Sibylle zu denken 45). Das Fort¬leben sibyll. Schriften im Osten bezeugt im 10. Jh. noch Liudprands Gesandt¬schaftsbericht 46). Vgl. weiteres unter Sibylle. Aus Pseudo-Method. und west¬lichen Überlieferungen entstand zwischen 949 und 954 Adsos, des Abtes von Moutier - en - Der 47), Epistola ad Gerbergam reginam de ortu et tempore Anti¬christi, die immer und immer wieder ausgeschriebene Schrift über diesen Ge¬genstand48). — Adsos Quellen sind außer Pseudo-Method. und (Michael tötet den A.) der tiburtinischen Sibylle vor allem Haymo Halberstadensis49), Aicuin, de fide Trinitatis 50), Hippolyt51) und eine Reihe von Notizen, die bei Sulpicius Severus belegt sind: Nascetur autem ex patris et matris copulatione, sicut et alii homines, non, ut quidam dicunt, de sola virgine, sagt Adso, und Martin weiß ihn malo Spiritus conceptus52); Templum etiam destructum, in statum suum re¬staurabit dürfte mit Martins ab illo et urbem et templum esse reparandum zusammengehen 53). Das scheint auf ungelehrte Überlieferungen zu deuten, denn

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an andrer Stelle bemerkt Adso ausdrück¬lich: Tradunt autem doctores, quod in monte Oliveti A. occidetur in papilione et in solio suo, in illo loco, contra quem ascendit Dominos ad celos54). Auf münd¬liche, ungelehrte Überlieferung möchte ich auch die Angabe ,,triginta annos tunc latebit incognitus a populo" in einem Rhythmus des 10. Jh.55) zurückführen. Solche Überlieferung wird bezeugt durch Sulpicius Severus Angabe, er habe die A.¬Sage nach einem mündlichen Vermächt¬nis des Martin v. Tours aufgezeichnet 56). — Wir sind demnach in der glücklichen Lage, ein Zeugnis aus dem 4. und eins aus dem 10. Jh. für die A.-Tradition im westlichen Europa zu besitzen. Die Merovinger- und Karolingerzeit ist reich an Äußerungen über den A.57).
21) Bousset Antichrist 1895, 52. no.
22) Vgl. ferner die Angaben bei Bousset 57 ff.
23) F. K a m p e r s Kaiseridee 14 und Noten.
24) Vgl. ferner Ottonis Frisingensis chronic. l. 8 c. i ff 25 ) Wetzer¬weite i, 923; Hauck RE. I 3, 580;
K a m p e r s 12. 26) Dionysius v. L ü t z e n b u r g Leben Antichristi 1716, 13 f. 27) So die Überlieferungsreihe III, 4. 28) Bousset Kommentar 49 f. 51. 29) Stolle Kirchenväter 88. 30) B o u s s e t Antichrist 15. 31) Ebd. 17. a2) Ebd. 51. 33) Ebd. 50; Ztschr. f. Kirchengesch. 20, no f. 34) Bousset Antichrist 50; Kam¬pers 13 f.; Ivo Decretorum opus bei Migne Patr. lat. 161, 1009. Vgl. auch Ztschr. f. Kirchen¬gesch. 20, 109 ff. 35) Hauck RE. i, 584. 36) K a m p e r s in MschlesVk. 17,145f.37) E r n s t Sackur Sibyllinische Texte it. Forschungen l898.i58ff.i62f. 38) Antichrist^. s9) Sackur 183 Mitte — 185 oben. 40) Ztschr. f. Kirchen¬gesch. 20, 280 ff. 285 f. 41) Bousset Anti¬christ 34 ff.; Ztschr. f. Kirchengesch. 20, ii7f. 42) Bousset 30 ff.; Sackur 45 ff. 53 ff. Über spätere Einschübe vgl. Ztschr. f. Kirchen¬gesch. 20, 261 ff. bes. 280. 43) Sackur 56. 44) Zeitschr. f. Kirchengesch. 20, 114 zählt Bousset die Fundorte auf; diese sind so ent¬legen, daß wohl nur tiburt. Sibylle in Betracht kommt. 45) Sackur 186. 4e) Mon. Germ. SS. 3, 347 = Kampers Note zu 50. 47) Ger¬hard v. Zezschwitz Vom römischen Kaiser¬tum deutscher Nation 1877; Gutschmid in Hist. Ztschr. 41, 148; Bousset 27 ff.;
Sackur 97 ff.. Textabdruck ebd. 104 ff. 48) K. R e u s c h e l Untersuchungen z. d. deut¬schen Weltgerichtsdichtungen des n.—14. Jhs. Diss. Leipzig 1895, 2. 49) Vgl. Sackurs Noten zum Text: Sackur 104 ff. w} A l -c u i n ebd. 51) Sackur 105 Abs. i, vgl. zur Hippolytstelle III, 3. 52) D e r s. 107 Abs. 2;
Sulp. Severus Dialogus 2, 14; doch vgl.
Pseudo-Ephraem 6 (zit. Bousset 92): ex semine viri et ex immunda vel turpissima virgine malo spiritu vel nequissimo mixto con-cipitur 53) Sackur 107 unten; S u l p i c. S e v e r u ' Dialogus 2,14; Bousset 105 mit weiterer Parallele aus Haymo. 54) Sackur 113 oben 55) Poetae latini aevi Carolini 4, 644 f. 56) Bousset 19. 57) Poetae latini aevi Caro¬lini 4, 49i ff.: De Enoch et Haeliae . . Passio Leudegarii in SS. Meroving. 5, 296; Vita Bononi ebd. 6, 129. De tempore Antichristi unter des Theodulfi carmina: Poetae latini i, 475; Predi? catio sancti Eligii episc. de supremo judicio: SS. Meroving. 5, 758 f.; vgl. dazu ZfdPh. 41, 410 f.
IV. D e r A. i m h o h e n M A. l. Mit Adsos Schrift ist die Entwicklung der Legende wesentlich abgeschlossen; seine Darstellung wird in der Redaktion Alb-wins58) übernommen und weitergegeben. Das MA.59), die Scholastik60), die katho¬lische Kirche bis auf Suarez (1601) 61) ken-nen nur den A. Adsos. Auch die späteren, Redaktionen der tiburtinischen Sibylle aus der Zeit Heinrichs III. und aus dem 12. Jh. 62), auf die Honorius v. Autun zu¬rückgeht 63), fügen nichts Neues zu. Er¬wähnt seien von den auf Adso beruhenden epischen Dichtungen: der Friedberger A.64), der Linzer Enticrist65), von dem Anticriste 66) (Anfang des 13. Jhs.) und Freidanks Spruch 49, wie der northumbrische Cursor mundi 67), während Frau Avas Gedicht auf mehrere Quellen, auch auf des Honorius Elucidarius 68), des Pam-philus Gengenbach Noilhart (l5l7)69) auf den neugedruckten PS. Method zurück¬geht70). Auch der ludus de Antichristo aus Tegernsee71) hat in Adso seine Quelle;
dies Spiel mit politischem Untergrunde muß s.Zt. oft gemimt worden sein; Zezsch¬witz hat Teile desselben in einem Benediktbeurer Weihnachtsspiel entdeckt72). A.-Spiele scheinen überhaupt beliebt ge¬wesen zu sein; in Frankfurt a. M. wurde 1469 eins, wohl das ,,von den Herzogen von Burgund" 73), wegen der Judenschaft verboten74); in Xanten ward 1473 und 1481 das ,,alte große spil vom uff- und Untergang des Antichrists aus dem la¬teinischen verdeutscht" aufgeführt78). Ein „Schimpf“ war ,,des Entkrist Vasnacht1176) aus dem 15. Jh., wie das engl. Chesterspiel vom Antichristen77). Es ist verständlich daß ein mönchisch gesinnter

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Mann wie Gerloh von Reichersberg (1093 bis 1069) in einer großen Schrift de in-vestigatione Antichristi 78) gegen die spectaculis theatricis auftrat. Otto von Frei¬sing, der in seiner Chronik den augustinischen Gedanken vom Gottesstaat durch-zuführen versuchte, handelt im 8. Buch der Chronik c. l—8, wie eine Reihe mhd. Spruchdichter79), vom A.80). Es seien schließlich aus den kaiserlich-päpstlichen Kämpfen des 14. Jhs. noch Lupold von Bebenburg81) und Engelbert von Ad-mont 82) erwähnt.
2. Diese Schriftsteller sind trotz ihrer politischen Haltung für uns nicht un¬wichtig. Man war sich dessen sicher, daß der A. als König erscheinen werde83); im Tyrannen, im rex iniquus, in jedem, der sub specie religionis handelte, sah man den A. oder einen A.84). Denn Augustin de civ. dei XX, 10 hatte auf Grund der Johann. Ausführungen (siehe I. l) ge¬schlossen, daß es mehrere A. gebe, die figurae Antichristi (Antiochus, Epi-phanes, Nero . . . und manger der noch hiute lebt) 85), deren letzter der eigent¬liche sei86). Man war jederzeit gewärtig, den letzten A. vor sich zu haben 87); so hat Bernhard vonClairvaux inAnaklet II. den A. gesehen; erst nach seinem Tode, als die böse Zeit anhielt, machte er ihn zu einem Vorläufer des A.88); hier ist es, wo sich der augustin-gregorianische Be¬griff des Tyrannen mit dem eschatolo-gischen des A. verbindet89).
3. Es ist begreiflich, daß es nahe lag, auch den unrechtmäßigen Papst zum A. zu machen. Nicht nur die Johann. An¬schauung gab dafür Stützen; es kam dazu, daß man den Tempel, in dem er sein Bild aufrichten würde, in Rom sah. Die Variante, daß der A. sein Idolum im Tempel errichten wird, ist in der Tradi¬tion so verwischt worden, daß man unter dem Idolum den A. selber verstand. Daher konnte in Zeiten des Schismas Papst und Gegenpapst als idolum in sancta sede bezeichnet werden. So kann die Meinung entstehen, der A. werde als Papst erschei¬nen90). Arnulf v. Orleans deutet schon 991 dergleichen an91); Siegmund Meister-lin erhebt 1488 in seiner Chronik der

Reichsstadt Nürnberg den begründeten Vorwurf, Ludwigs des Bayern Kanzler Ul¬rich Hangehor habe schändliche Schreiben gemacht und ,,hieß den babst ein thier und bestia und den entecrist"92). Der Name wird mehr und mehr zur Allegorie;
die, „geistlichen" Auslegungsarten nahmen überhand; Hus93) sei erwähnt, die böh¬mischen Brüder, Joachim v. Fiore, Katharer und Waldenser94), Luther (adv. execrabilem A. bullam) bis zu den Schmal-kaldischen Artikeln (der Papst ist der rechte Endchrist oder Widerchrist) 95). Nur die Flugblattliteratur kennt noch den persönlichen A. 96). Im catalogus testium veritatis hat Flaccius Illyricus die geistliche Auslegung der Lutheraner (der A. ist keine individuelle Person) dem ,,persönlichen A." der Katholiken (er komme aus Dan usw.) gegenüberge¬stellt97). Der Katholik Cochlaeus aber versuchte, Luthern, widernatürlich ge¬zeugt, den Anschein des A. zu geben:
Sunt qui affirmant Lutherum a spiritu immundo sub Incubi specie prognatum j esse. Und Luther: Cocieus heißt mich j einen Wechselbalk und einer Bademagd | Sohn98). Endlich ist das Wort zum | Schimpfwort geworden 99),
4. Erwähnt sei Joachim von Fiore, der im 13. Jh. in Italien von vielen Antichristen zu sagen wußte und den letzten er¬wartete l00); mit ihm vor allem setzt die Auffassung ein, die A.-Legende sei als Allegorie zu deuten, eine Auffassung, die bis zu Luther und weiter gilt, während die Katholiken daran festhielten, daß der A.) wirklich erscheinen werde. Seine Anhänger sorgten für die Verbreitung und Auslegung der Idee, wovon besonders Salimbene von Parma ein ergötzliches Beispiel liefert, der erzählt, wie einer Alphons X. von Castilien zum A. machte101). Salimbene hat übrigens Friedrich II. selbst ganz antichristliche Züge gegeben102); hat doch auch Telesphorus von Cosenza geschrieben, ,,Friderich defj drit (der erwartete Friedensfürst), der wirt der groß endecrist103). |
68) Sackur 99. 69) Schon in einer ags.| Homilie (Grimm Myth. 678) findet sich ein Passus (Sackur III oben wörtlich. Für
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Bernhard v. Clairvaux ist dieser Beweis trotz Radcke 60 noch nicht erbracht. 60) Zu¬sammenfassung der scholast. Auffassungen:
Hans Preuß Die Vorstellungen vom A. im späteren M A., bei Luther . . . 1906, n ff. Hierher gehört auch der Basler Elucidarius: W i l h. Wackernagel Die altdeutschen Hand-schriften d. Basler Univ.-Bibl. Rektorats-Pro-gramm 1836, 22 f. 61) P. F r. Suarez Com-mentariorum ac disputationum in tertiam partem D. Thomae T. II, 1601 Praef. = P r e u ß 252 f. 62) K a m p e r s Kaiseridee 49 ff.; Sackur 126 ff. Die Texte: Mon. Germ. SS. 22, 145. ^75 ff. 63) Gemma animae l. III c. 134. 64) MSD. 1892 3, N. Nr. 33. 65) H e i n r. H offmann Fundgruben 2 (1837), no. 66) ZfdA. 6, 369 ff. Ausführungen über den A. in größeren Dichtungen vgl. K. Reuschel Unters, z. d. deutschen Weltgerichtsdichtungen, Diss. Leipzig 1895, 19 ff. Ins 14. Jh. gehört das von Mone Schauspiele I, 306 erwähnte Ge¬dicht aus Kreuzungen bei Konstanz. 67) Eberts Jahrb. 5, 191 ff. 68) Reuschel 6 ff. Text:
ZfdPh. 19, 128 ff. 355 ff. 69) K. Gödeke I Gengenbach 114 ff. 70) Sackur 3 f. 71) Zezschwitz Vom röm. Kaisertum i/cutscher Nation 1877; Wilh. Meyer aus Speier Ges. Abhandlungen z. mittellateinischen Rhythmik l (1905), 136 ff.; M i c h a e l i s in ZfdA. 54, 61 ff. Texte bei Meyer und Fried r. Wilhelm Münchener Texte (1912) Nr. i. 72) Zezschwitz 242 ff. 73) Bibl. litcrar. Ver. Stuttgart 28, 169 ff. 74) G. L. K r i e g k Deutsches Bürgertum im M A. 1868, 440. 75) Zezschwitz 104. 76) Bibliothek «l. literar. Ver. Stuttgart 29, 593 ff. 77) Zezsch¬witz 195 ff. 78) Opera I. ed Friedrich Scheibelberger 1875 i, I, c. 5. 79) Reuschel 32 f. 80) Ottonis Frisingensis episc. Chro-nica, Mon. Germ. SS. in usum schol. 81) Rit-maticum querulosum 113 f.: Nee in meo (sc. H oman. imper.) tempore Antichristus nascetur, Dcus nequaquam sinet, quod mecum domine-tur: B öhme r Fontes i, 482. 82) Riezier Die literar. Widersacher d. Päpste z. Zeit Ludwigs d. Bayern 1879, 168. 83) H i p p o l y t c. 6, König ist Christus und König der A. 83) Ernst Bernheim Mittelalterliche Weltanschauungen I, 73. 93 f. Vgl. OttonisFris. Chron. S f 3. 85) Adso bei Sackur 105 unten. Von dem Antichriste = ZfdA. 6, 371 Zeile 72 ff.;
H e u s c h e l 18, N. 2; Hans Preuß Die Vorstellungen vom A. im späteren M A. 1906, 25. 47 f.; Stolle Kirchenväter 277 N. 3. 86) B e r n he i m 74, N. i; Ottonis Chron. 8, c. l. 87) B e r n h e i m 75. 88) W a d s t e i n 39, , ln.1 und R a d c k e. 89) B e r n h e i m. 90) Ebd. l 91) W a d s t e i n 39, 101 f. 92) Die Chroniken d. deutschen Städte. Nürnberg 3, 123. 93) Hans Pr e u ß Die Vorstellungen v. A. im späteren M A., bei Luther usw. 1906, 49 ff. 94) Ebd. 45 ff.;
Wadstein 39, 117 ff. 95) Ausführlich über Luthers Anschauungen handelt Preuß von S, 83 ab. 96) In der Kunst: ebd. 28 ff. 66ff.

222 f. 98) Ebd. 215 u. Nr. 2; Peuckert Schle¬sien 47. 99) Erwähnt sei noch die Feststellung von Preuß 247 ff., daß niemals von katho¬lischer Seite L. als A. hingestellt worden ist, was immerhin für den Gegner nahe lag. 100) Preuß 45 ff. m) Geschichtsschreiber d. deutsch. Vorzeit 94. 118. 102) Ebd. 93, 355 ff. 103) K a m p e r s Kaiseridee 95 ff.
V. Der A. im 16.—17. Jh. Die Buchdruckerkunst ermöglichte, dem Volk zeitungsartige Literatur zuzuführen; so wird Deutschland seit dem Ende des 15. Jhs. mit fliegenden Blättern über¬schüttet, unter denen Prognostica usw. die erste Stelle einnehmen. Der persön¬liche A. wird wieder geglaubt. Die Prakti-ka 1492 verheißt: In Oberdeutschland wird ein Prophet auftreten; man wird ihn den A. nennen104). Und um 1500: Corda nostra plurimum concutiuntur, dum de die extremi judicii et de A. tanta dicun-. für 105). Heinrich Vogel kannte 1605 eine alte Weissagung, daß der A. kommen werde, wenn das Evangelium und die Alchemie wiederum herfürkommen, das eine aber habe Luther, das andere Paracelsus vollbracht106). Die von Paracelsus107) ausgehende pansophische Bewe¬gung, die joachitische Ideen aufnahm108), kannte auch den A.-Glauben109), und er hat sich bei den Pansophen ebenso wie bei Schwärmern bis in den Anfang des l8. Jhs. gehalten110). Die „geistliche Aus¬legung", seit Joachim bei allen gegen¬katholischen Strömungen geübt, mußte absterben, als der Kampf gegen die Kirche durch einen Frieden beendet wurde, der den evangelischen Kirchen Gleichberechtigung gab und so den An¬laß zum Kriege beseitigte. Dafür er¬wachte unter den Katholiken (Malvenda) der alte Glaube an den wirklichen A. zu neuem Leben, und er hat sich in katholischen Landen bis heute gehalten, ein letztes lebendes Stück Barock111). Vom 21. Jan. 1707 haben wir eine Flug-blatt-Copia eines von Malta gekommenen ,, Schreibens des zu Babylon neugebohrnen Antechrists“ betreffend. Aus dem Jahre 1716 stammt das bombastisch¬-barocke Buch des Paters Dionysius von Lützenburg, das einen wahrhaftigen Roman vom A. darstellt 112) . In vielen Sek.


Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. (Karl Valentin)


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