Was sieht der Seher? (Schauungen & Prophezeiungen)

trace, Dienstag, 30.03.2010, 11:44 (vor 5159 Tagen) (5089 Aufrufe)

Wenn man davon ausgeht - was meines Erachtens zwingend ist - dass die Bilder (Visionen) aller echten Seher aus dem Bereich der "Zeitlosigkeit" (wo alle Zeit ineinander fällt) stammen müssen, dann ist nicht ersichtlich, warum es sich bei den Schauungen um eine Einbahnstraße, die ausschließlich in die Zukunft führt, handeln soll.

Es wird hier Einigkeit darüber bestehen, dass kein Seher jemals in der Lage war, seine Schauung exakt zu datieren. Genauso fraglos bestehen alle so genannten großen Schauungen aus einem Konglomerat vieler Einzelbilder, die ebenfalls nie in einer verbindlichen Chronologie "gesehen" wurden. Genau das aber ist das Hauptbemühen dieses Forums: das Herausfinden eines chronologischen Ablaufs und einer zumindest annähernden Datierung. Erfolg hatten diese Bemühung bisher nicht. Sie dümpeln weiterhin zwischen Vermutungen, Vergleichen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen, wo höchstens mal die eine oder andere Meinung eine Oberhand gewinnt, je nach scheinbar besserer Argumentation des jeweiligen Interpreten oder Bewerters.

Was nach meiner Meinung bisher nicht in Erwägung gezogen, ja regelrecht missachtet wurde ist, dass Schauungen die Bilder der Vergangenheit und Zukunft durchaus und ganz unbeabsichtigt (weil das für den Seher selbst nicht auseinanderzuhalten ist) vermischen. Aber niemand der geschichtlich ach so bewanderten Forumsschreiber hat sich jemals ernsthaft damit befasst, hier eine Selektion anzusetzen. Warum eigentlich?

Nur mal so als kleines Beispiel:

Der Mühl-Hiasl (oder Stormberger) sprach von den "Rotjankerl", die über die böhmischen Berge kommen. Oder: "In einem Wirtshaus in Zwiesel werden viele Leut beisammen sein, und draußen werden die Soldaten über die Brücke reiten." (ein wundervoll klares und beeindruckendes Bild!) Nun ist nicht damit zu rechnen, dass künftige Heere bzw. Soldaten mit auffallend roten "Jankerln" oder gar zu Pferde einen Überfall auf Zwiesel starten, aber Geschichte ist es bereits. Die Panduren* (heute in der Gegend noch als "Rotmäntel" bekannt) kamen zu Pferde, besetzen u.a. Zwiesel (1741) und traumatisierten gerade diese Gegend nachhaltig. Aus "Rotjankerl" Kommunisten zu machen, ist eindeutig spätere Interpretation und bei einer Bilderschau ziemlich gewagt.

Natürlich ist vieles der als Voraussagen deklarierten Schauungen immer noch im Bereich des zukünftig Möglichen. Aber wie viel davon entspringt einem mehr oder weniger weit in der Vergangenheit liegenden (Kollektiv-) "Gedächtnis"? Es gab Fluten, Kriege, Pest und Feuersbrünste - ja, selbst Finsternisse, Himmelszeichen und Erdbeben, die jeweils regional betrachtet ungeheuerliche Ausmaße und Wirkungen hatten. Warum werden z.B. Küsten- und Flusstal-Bewohner (auch wenn sie von dort weggezogen sind) vorwiegend von Flut-Gesichten heimgesucht und die Bewohner in Grenznähe von Ländern mehr von Invasionen durch Fremde? - Es wird fraglos weitere Überflutungen geben, sowie Epidemien und Kriege, auch Morde an Hochgestellten, Wetteranomalien, katastrophale Endbeben und Vulkanausbrüche (usw. u.s.f.) - von den selbstverschuldeten "Betriebsunfällen" der Menschheit ganz zu schweigen.

Wer soll das alles auseinander dröseln können?

Es grüßt
trace


P.S.: Wie die kleinen, "privaten" Schauungen nach meiner Meinung einzuordnen sind, erwähnte ich bereits an anderer Stelle und soll hier nicht Thema sein.


*) "Es war eine Katastrophe, die im Jahre 1742 über den Bayerischen Wald herein brach. Freiherr Franz von der Trenck und seine Panduren überrollten die Region und kannten keine Gnade."

"Es ist ein bizarrer Haufen mordlüsterner Krieger, die 1742 in Bayern wüten. Sie fürchten weder Tod noch Teufel, kämpfen für ihren berüchtigten Anführer Trenck und für sich selbst. Als sie im September nach Böhmen kommen, eilt ihnen bereits der Ruf schlimmster Grausamkeit und Beutegier voraus."


Gesamter Strang: