Avatar

Dazu Spengler (1922) (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 27.02.2011, 12:27 (vor 4828 Tagen) @ Theodor (3460 Aufrufe)

Hallo!

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Spengler,%20Oswald/Der%20Untergang%20des%20Abendlandes/Zweiter%20Band:%20Welthistorische%20Perspektiven/4.%20Kapitel:%20Der%20Staat/3.%20Philosophie%20der%20Politi...

"Aber während die Antike, an der Spitze das Forum von Rom, die Volksmasse zu einem sichtbaren und dichten Körper zusammenzog, um ihn zu zwingen, von seinen Rechten den Gebrauch zu machen, den man wollte, schuf »gleichzeitig« die europäisch-amerikanische Politik durch die Presse ein Kraftfeld von geistigen und Geldspannungen über die ganze Erde hin, in das jeder einzelne eingeordnet ist, ohne daß es ihm zum Bewußtsein kommt, so daß er denken, wollen und handeln muß, wie es irgendwo in der Ferne eine herrschende Persönlichkeit für zweckmäßig hält. Das ist Dynamik gegen Statik, faustisches gegen apollinisches Weltgefühl, das Pathos der dritten Dimension gegen die reine, sinnliche Gegenwart. Man spricht nicht von Mann zu Mann; die Presse und in Verbindung mit ihr der elektrische Nachrichtendienst halten das Wachsein ganzer Völker und Kontinente unter dem betäubenden Trommelfeuer von Sätzen, Schlagworten, Standpunkten, Szenen, Gefühlen, Tag für Tag, Jahr für Jahr, so daß jedes Ich zur bloßen Funktion eines ungeheuren geistigen Etwas wird. Das Geld nimmt seinen politischen Weg nicht als Metall aus einer Hand in die andre. Es verwandelt sich nicht in Spiele und Wein. Es wird in Kraft umgesetzt und bestimmt durch seine Menge die Intensität dieser Bearbeitung.

Schießpulver und Buchdruck gehören zusammen, beide in der hohen Gotik erfunden, beide aus germanischem technischen Denken heraus, als die beiden großen Mittel faustischer Ferntaktik. Die Reformation sah zu Beginn der Spätzeit die ersten Flugschriften und Feldgeschütze, die französische Revolution zu Beginn der Zivilisation den ersten Broschürensturm vom Herbst 1788 und bei Valmy das erste Massenfeuer einer Artillerie. Aber damit erhebt sich das in Masse hergestellte und über endlose Flächen verbreitete gedruckte Wort zu einer unheimlichen Waffe in den Händen dessen, der sie zu führen weiß. In Frankreich handelte es sich 1788 noch um einen ursprünglichen Ausdruck privater Überzeugungen, aber in England war man schon dabei, den Eindruck auf die Leser planmäßig zu erzeugen. Der von London aus mit Artikeln, Flugblättern und unechten Memoiren auf französischem Boden gegen Napoleon geführte Krieg ist das erste große Beispiel. Die vereinzelten Blätter der Aufklärungszeit verwandeln sich in »die Presse«, wie man mit bezeichnender Anonymität sagt. Der Pressefeldzug entsteht als die Fortsetzung – oder Vorbereitung – des Krieges mit andern Mitteln, und seine Strategie der Vorpostengefechte, Scheinmanöver, Überfälle, Sturmangriffe wird während des 19. Jahrhunderts bis zu dem Grade durchgebildet, daß ein Krieg schon verloren sein kann, bevor der erste Schuß fällt – weil die Presse ihn inzwischen gewonnen hat.

Heute leben wir so widerstandslos unter der Wirkung dieser geistigen Artillerie, daß kaum jemand den inneren Abstand gewinnt, um sich das Ungeheuerliche dieses Schauspiels klarzumachen. Der Wille zur Macht in rein demokratischer Verkleidung hat sein Meisterstück damit vollendet, daß dem Freiheitsgefühl der Objekte mit der vollkommensten Knechtung, die es je gegeben hat, sogar noch geschmeichelt wird. Der liberale Bürgersinn ist stolz auf die Abschaffung der Zensur, der letzten Schranke, während der Diktator der Presse – Northcliffe! – die Sklavenschar seiner Leser unter der Peitsche seiner Leitartikel, Telegramme und Illustrationen hält. Die Demokratie hat das Buch aus dem Geistesleben der Volksmassen vollständig durch die Zeitung verdrängt. Die Bücherwelt mit ihrem Reichtum an Gesichtspunkten, die das Denken zur Auswahl und Kritik nötigte, ist nur noch für enge Kreise ein wirklicher Besitz. Das Volk liest die eine, »seine« Zeitung, die in Millionen Exemplaren täglich in alle Häuser dringt, die Geister vom frühen Morgen an in ihren Bann zieht, durch ihre Anlage die Bücher in Vergessenheit bringt, und, wenn eins oder das andre doch einmal in den Gesichtskreis tritt, seine Wirkung durch eine vorweggenommene Kritik ausschaltet.

Was ist Wahrheit? Für die Menge das, was man ständig liest und hört. Mag ein armer Tropf irgendwo sitzen und Gründe sammeln, um »die Wahrheit« festzustellen – es bleibt seine Wahrheit. Die andre, die öffentliche des Augenblicks, auf die es in der Tatsachenwelt der Wirkungen und Erfolge allein ankommt, ist heute ein Produkt der Presse. Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen Wahrheiten. Drei Wochen Pressearbeit, und alle Welt hat die Wahrheit erkannt.*** Ihre Gründe sind so lange unwiderleglich, als Geld vorhanden ist, um sie ununterbrochen zu wiederholen. Auch die antike Rhetorik war auf den Eindruck und nicht den Inhalt berechnet – Shakespeare hat in der Leichenrede des Antonius glänzend gezeigt, worauf es ankam – aber sie beschränkte sich auf die Anwesenden und den Augenblick. Die Dynamik der Presse will dauernde Wirkungen. Sie muß die Geister dauernd unter Druck halten. Ihre Gründe sind widerlegt, sobald die größere Geldmacht sich bei den Gegengründen befindet und sie noch häufiger vor aller Ohren und Augen bringt. In demselben Augenblick dreht sich die Magnetnadel der öffentlichen Meinung nach dem stärkeren Pol. Jedermann überzeugt sich sofort von der neuen Wahrheit. Man ist plötzlich aus einem Irrtum erwacht.

*** Das stärkste Beispiel wird für künftige Geschlechter die Frage der »Schuld« am Weltkrieg sein, das heißt die Frage, wer durch Beherrschung der Presse und Kabel aller Erdteile die Macht besitzt, für die Weltmeinung diejenige Wahrheit herzustellen, die er für seine politischen Zwecke braucht, und sie solange zu halten, als er sie braucht. Eine ganz andre Frage, die nur in Deutschland noch nicht mit der ersten verwechselt wird, ist die rein wissenschaftliche, wer ein Interesse daran besaß, ein Ereignis gerade im Sommer 1914 eintreten zu lassen, über das es damals schon eine ganze Literatur gab."

Wegen Texten wie diesen ist Spengler heute von der Öffentlichkeit "vergessen worden".

Das "Gesetz" (eine unglückliche Wortwahl) hätte demnach (hypothetisch) statt von England/Amerika auch von Deutschland ausgehen können, wenn wir den Krieg gewonnen hätten, deshalb, weil diese Art der Massenbeeinflussung ein Merkmal unserer Zeit ist, dem alle Mächte unterworfen sind und das von keiner Nation originär hervorgebracht wird. Weniger sind die Medien ein Werkzeug der Politik der Nationen, als die Nationen von den Medien und vielmehr den Geldmächten dahinter völlig abhängig, die anonym sind und in unserer Epoche zwangsläufig hervortreten mußten. Dies ist inzwischen - anders als zu Spenglers Zeit - so weit gediehen, daß praktisch kein Unterschied mehr zwischen der Politik und den Interessen des Geldes besteht. Nationalpolitiken haben sich fast völlig aufgelöst, bzw. ihre Eigenständigkeit verloren.
Allerdings muß man sagen, daß Amerika wegen seiner völligen Kulturlosigkeit als Angelpunkt für diese Herrschaftsform wie geschaffen ist, anders als Deutschland, in dem zur Zeit der beiden Weltkriege noch zu viel ursprüngliche Substanz vorhanden war, die erst eingerissen werden mußte. Hier wirkte noch eine gewisse Beharrlichkeit gegen Geld und Technik. Die Weltkriege waren mit dem Ziel der Verbreitung von Demokratie und "Freiheit" (also dem Triumph von Geld und Technik, gekleidet in eine bürgerlich-liberale Fassade), hinter dem der Abriß kultureller Formen steht, vor allem auf die Vernichtung Deutschlands ausgerichtet. Amerika mußte aus diesen Kriegen als Großmacht hervorgehen, während Deutschland, selbst wenn es als Staat gewonnen hätte, dem Geist der Zeit innerlich erlegen wäre ("1968" hätte es also auch in irgendeiner Form im siegreichen Nazi-Deutschland gegeben).

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


Gesamter Strang: