Irrweg (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Samstag, 23.01.2016, 20:58 (vor 3018 Tagen) @ Taurec (1433 Aufrufe)

Hallo Taurec,

Das ist allerdings bislang nur eine lauwarme Spur, die in die Gegend eines Autors im Raum Paderborn führt.

Das ist allerdings interessant. Kannst Du das näher erläutern? Gerne auch per Email.

vermutlich führt die lauwarme Spur, die immer kälter wird, in die Irre. Trotzdem, zur Abschreckung:

Ich stolperte über die letzte Zeile in Vers 15: "Femt den Gottesstreit vors nah’ Gericht."

Mir leuchtete nicht ein, warum Martin Hingerl einen Begriff verwenden sollte, der so fremd ist, daß er sich veranlasst sieht, ihn in der zweiten Auflage mit dem Hinweis "Femt = lädt" (S. 64) zu erklären. Deshalb vermutete ich eine von ihm veränderte Vorlage, wobei ihm die Redewendung versehentlich durchrutschte. "Femen" als Verb steht in altbayerischer Mundart für "fein schneien" wie analog "nieseln" für "fein regnen".

Mir ist entgangen, daß im "Deutsches Wörterbuch" von Jacob und Wilhelm Grimm das Verb "femen" so umschrieben wird, wie von Hingerl verwendet: "2) mhd. in judicium vocare, in judicio punire, condemnare".
http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=GF02958#XGF02958

Wegen der m.W. (ost-)westfälischen Herkunft des Begriffes "Fehme", "Vehme", seltener "Feme", das als Substantiv für ein Gericht steht, das ggf. auch bei Abwesenheit des Beklagten ein Urteil fällt, suchte ich nach regionalen Alternativen zur Staffelsteiner Linde und stieß auf die angeblich mehr als 1.200 Jahre alte Linde vor der "Meinolfuskapelle" bei Büren, über die die Sage erzählt: "Im Jahre 799 wurde der Sage nach der heilige Meinolf unter einer Linde von seiner Mutter Wichtrud, die auf der Flucht vor den Sachsen war, geboren. Meinolf wurde von Bischof Badurad getauft, und Karl der Große war sein Taufpate. ... Schon früh wurde an der Stelle, wo der heilige Meinolf der Sage nach geboren worden war, eine erste kleine Kapelle mit einer angebauten Klause errichtet." ( http://www.pv-bueren.de/index.php?page=427 )

Ebenfalls in Büren lebte Joseph Pape ( https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Pape ), auf den ich über seine Schrift "Das Lied von der Welt Zeiten" (1886) aufmerksam wurde, das aber, mit Ausnahme seines Titels und der Verwendung des "Baum"-Motivs (dort als Lebensbaum) keine Ähnlichkeit mit "Der alten Linde Sang von der kommenden Zeit" hat. Text: http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2054.pdf , S. 192 ff

Einzig für die Zeile "Deutschlands Elend ist der Welt Ruin" im achten Vers, zu dem Du schreibst, "Dieser Vers ist ohne bekannte Vorlage", würde sich eine eigenwillige Deutung ergeben, falls man eine Pape'sche Vorlage unterstellt, weil Pape in seiner heilsgeschichtlichen Interpretation der Weltgeschichte, als Auftakt zur Apokalypse den "Untergang des germanischen Volkes" erwartete. ( http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2055.pdf , S. 141)

Über Pape in "Joseph Pape als Theologe" von Peter Bürger:

S. 18:
Pape [als Abiturient] neige zum Schwulste, zu einer unnatürlichen Bildersprache und zu einer ungezügelten Phantasie.

S. 19:
Durch Grimme [Mundartdichter, Freund Papes] wissen wir auch um einen frühen theologischen Anreger Papes, den alten Vikarius Kracht (1809-1853, „der immer die Apokalypse und deren Auslegung von P. Holzhauser studierte, um daraus das einstmalige Erscheinen des ,großen Fürsten‘ nach Jahr und Datum festzustellen.“

S. 24:
Ein frühes Konzept des literarischen Lebenswerkes klingt in einem weiteren Brief an:
„Von meinen Extraplänen kann ich Dir nur mittheilen, daß ich beabsichtige, aus den einzelnen Jahrhunderten, seit Karl dem Großen etwa, je einen Stoff herauszugreifen und dann den Gedanken von der deutschen Einheit in Reich und Glauben darzustellen...“ (10.10.1956).

S. 146:
Ohne Zweifel muß diese Charakterisierung am Anfang stehen: Pape ist ein „politischer Theologe des Reiches“ und damit im Grunde ein später Nachfahre der Hoftheologen eines Karl des Großen.

S. 147:
Hauptmotiv der Dichtungen Joseph Papes ist es, das neue christliche Kaiserreich zu singen. In diesem Motiv liegt Papes unerschütterlicher Lebenstraum. Die einzige Enkelin wird später, 1931, über ihn schreiben: „In fast allen seinen
Werken gilt der Preis seines Liedes dem idealistischen Verständnis zwischen Kaisertum und Papsttum, und er würde sich, lebte er heute noch, wahrscheinlich trotz allem sein Ideal nicht rauben lassen.“ (Ebbers-Scheid 1931, 6).

http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2055.pdf

Allerdings gilt der Großteil der nicht veröffentlichten späten Schriften, in denen er sich fast ausschließlich mit der „politischer Theologe des Reiches“ beschäftigte, als vernichtet:

"Es erwies sich als äußerst schwierig, an die Primärliteratur heranzukommen. Schon bei Papes Tod war nur eines seiner rund dreißig gedruckten Werke noch im Buchhandel greifbar. Selbst in den Bibliotheken - einschließlich der Deutschen Bücherei in Leipzig -, die durch den wissenschaftlichen Leihverkehr miteinander verbunden sind, waren der Verfasserin nicht mehr alle Titel zugänglich, ja, einige der noch 1931 genannten Schriften) sind heute bibliographisch nicht mehr faßbar. Die Quellen mußten also anderweitig durch Nachfragen und Reisen gesucht werden. Dabei stellte es sich heraus, daß vieles ein Opfer des Zweiten Weltkrieges geworden ist. So wurde fast der gesamte Nachlaß, der 1902 nach dem frühen Tod von Papes Sohn der Akademischen Paulinischen Bibliothek der Münsteraner Universität übereignet wurde, im Bombensturm vernichtet."
Gisela Grimme-Welsch in "Joseph Pape (1831-1898)" http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/txt/wz-8971.pdf

Angesichts des dritten Verses kann es sich bestenfalls um eine Vorlage für Hingerls Text handeln, die - vielleicht - bei Joseph Pape zu finden wäre, da der von Hingerl vorgelegte Text nach 1900 verfasst wurde:
"Wireless" im Forum http://www.allmystery.de/themen/mt118352 , am 24.04.2015 um 12:17 Uhr:
"Schon in der 3. Strophe wird klar, dass das Gedicht nicht vor 1900 geschrieben worden sein kann, da die Zeile "Breiten Reif um seine Stirne wand." zeigt, dass bereits das stählerne Band, welches den Baum stabilisieren sollte, vorhanden war. Dieses wurde aber erst um 1900 dort angebracht."

Es bleibt somit bei Deiner Zusammenfassung: https://schauungen.de/forum/index.php?id=8647

Gruß,
in Erwartung der Verleihung des Lou-Famoso-Tigers,
Ulrich


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