Hildegard von Bingen (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Donnerstag, 13.04.2017, 23:51 (vor 2564 Tagen) @ fenice (3153 Aufrufe)

Hallo Fenice,

... wo doch das Abendland z.B. eine Hildegard von Bingen vorzuweisen hat, die weit mehr hermacht, zudem selbst schreiben konnte und in ihren Aufzeichnungen nachvollziehbar ist.

Du meinst aber schon die historische Hildegard von Bingen, nicht die literarisch verklärte aus der Dinkel-Müsli-Rezepte-Ecke ?

Visionen hatte sie als Kleinkind wohl auch - ich vermute mal, ohne halluzinogene Pilze oder LSD.

ja, vermutlich ohne. Schlimmer: "Im Jahre 1141 der Menschwerdung Jesu Christi, als ich 42 Jahre und sieben Monate alt war, kam ein feuriges Licht mit Blitzesleuchten vom Himmel hernieder. Es durchströmte mein Gehirn und durchglühte meine Brust. Und plötzlich erschloss sich mir der Sinn der Schriften ... Und ich vernahm eine Stimme vom Himmel, die zu mir sprach: Schreibe auf, was du siehst und hörst!"

Teil dieser "Erleuchtung" waren dann z.B. ihre folgenreichen Predigten 1165/1166 gegen die Katharer. Ihre Anhänger weisen auch heute noch gerne darauf hin, daß sie aber "nur" deren Vertreibung, nicht deren Verbrennung empfahl.

Wenn ich/Du/sonst wer meinem/Deinem/seinem Hausarzt erzählen würde "Ich sehe all diese Dinge nicht mit den äußeren Augen und höre sie nicht mit den äußeren Ohren; ich sehe sie vielmehr einzig und allein in meinem Inneren, aber mit offenen leiblichen Augen, so dass ich niemals die Bewusstlosigkeit einer Ekstase erleide, sondern wachend schaue ich dies bei Tag und bei Nacht" und "Was ich nicht in Visionen sehe, das weiß ich nicht, weil ich ungebildet bin", dann würde der wohl eine Manie (wenn nichts Übleres) diagnostizieren.

Man muss sich ja nicht dem Urteil Johannes Peckhams, des Provinzialmeisters der englischen Franziskaner anschließen "Ich glaube, dass die Prophetie der Hildegard unmittelbar aus der List des Teufels entspringt. Er will die Menschen mit ihrer Hilfe mit vielen Falschheiten und Nichtigkeiten verwirren. Gerade durch jene Hildegard lehrt er viele Irrtümer und durch sie gibt er Anweisungen an ihre ketzerischen Anhänger. Deshalb tadele ich all diejenigen, die die Lehre einer Frau in der Kirche verbreiten. Alle Zeichen, die sie verkündigen, sind betrügerisch und falsch ... Manche sagen, der Papst habe ihre Schriften bestätigt, was offensichtlich eine Lüge ist, da der apostolische Stuhl bekanntlich Zweifelhaftes nicht genehmigt, umso weniger, als in dem Geschreibsel einer solchen Vermessenen viele Irrtümer enthalten sind." (1270), aber man darf die Frage nach der Herkunft ihrer Visionen stellen, zumal H.v.B. selbst diesbezüglich Zweifel gegenüber Bernhard von Clairvaux äußerte.

Was mag die Herkunft ihres "inneren Sehens" gewesen sein, das sie z.B. zu ihrer Abhandlung über den "Basilisk" ( https://de.wikipedia.org/wiki/Basilisk_(Mythologie) : "Basilisken symbolisieren als allegorische Figur den Tod, den Teufel, die Sünde oder den Antichristen.") inspirierte:

"Basiliscus de quibusdam vermibus nascitur, qui aliquid de diabolicis artibus in se habent, scilicet quod rubeta; wenn eine trächtige Kröte ein Schlangen- oder Hühnerei sieht, brütet sie über diesem; auch nach der Geburt ihrer Jungen, die sofort sterben, brütet sie weiter, bis die Frucht im Ei zu leben beginnt; und bald bekommt diese Frucht etwas von der Kraft »antiqui serpentis« (Apokalypse l. c). Sobald die Kröte das Leben im Ei merkt, flieht sie, und das Ei birst unter Getöse und Schwefeldampf (!). Der aus dem Ei kommende Basilisk spaltet mit seinem Feueratem die Erde und wächst dort 5 Ellen tief im feuchten Boden heran (später im Mist); wenn er auf die Erde kommt, vernichtet er alle mit seinem Blasen und seinem Blick."
(Hoffmann-Krayer, Bächtold-Stäubli: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Band II, S. 600 ff.)

Schwefeldampf, die Apokalypse, der Antichrist. Schröcklich!

Vor Hildegard von Bingen war eine Kröte eine Kröte, nach Verbreitung ihrer "himmlischen Offenbarung" über die Kröte als „Mutter aller Basilisken“, die international aufgegriffen wurde, setze eine jahrzehntelange Massenhysterie ein, durch Vernichtung von Kröten (und Fröschen, man nahm es nicht so genau) präventiv das Ausschlüpfen von "Basilisken" zu verhindern.

Es lässt sich nicht bestreiten, der von "unserer" Hildegard von Bingen initiierte fundamentale Feldzug gegen das Böse in Gestalt Basilisken ausbrütender Kröten "macht weit mehr her" als dieser österreichische Lorber mit seinem kuscheligen "Mondschaf" und dem peinlichen "dreifüßigen Maulaffen".

Ja, "selbst schreiben" konnte sie, die Hildegard, aber beim "nachvollziehen" habe ich so meine Schwierigkeiten. Vielleicht bin ich ja noch nicht soweit.

Wenn Maria S. sich vorgeblich als 5-Jährige einen solchen Pilz ins Maul (die Dinger sind sehr klein und Kleinkinder machen so was schon mal) geschoben hat, „high“ wurde und bunte Bilder sah, dann könnte sie durchaus auf die Idee gekommen sein, dem möglicherweise depressiven Onkel (von der eigentlichen Krankheit weiß man nichts) ein paar Pilze mitzubringen. Und siehe da, er wurde ganz fidel und munter - wie auch immer.

Da steht kein Wort davon, daß sie ihrem Onkel Pilze verabreicht hätte, da ist vielmehr zu lesen, daß Sie (ihr unbekannte?) „Kräuter“ gesehen hat, einen „Platz auf dem Berg“, wo diese wachsen sowie den Weg dorthin, und daß sie Ort und Kräuter wiedererkannt hat. „Ich nahm sie[die Kräuter], ich brachte sie nach Hause, ich kochte sie in Wasser und ich gab sie meinem Onkel.“

Es ist nicht damit getan „selbst schreiben zu können“, wenn das was man schreibt, vom Leser so verdreht wird.

Gruß
Ulrich


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