mein Reich ist [überhaupt gar] nicht von dieser Welt (Schauungen & Prophezeiungen)

Sagitta, Samstag, 27.08.2016, 20:38 (vor 2770 Tagen) @ Leonessa (4407 Aufrufe)

Hallo Leonessa - vielen Dank für Deinen so zart angedeuteten, dann aber sehr entschieden formulierten Beitrag!

Richtige Religion im allgemeinen und der Kern der christlichen Lehre ganz besonders haben PRIMÄR überhaupt rein ganz und gar total nichts mit der wehleidigen menschlichen Moral und mit jener angeblich so ungerechten Gerechtigkeit irgendeines Gottes zu tun, von der bei Dir und in parallelen Beiträgen die Rede hier ist. Es geht bei der Religion und auch beim Christentum zuallerst um das Thema der Transzendenz. Ich mache den umständlichen Versuch, das darzustellen. Taurec möge mir meine Predigt nachsehen.

Im täglichen Leben fällt alles nach unten, es sei denn, man hält es fest oder hebt es mit Kraft nach oben. Unendlich lange hat es gedauert, bis der Mensch dieses kuriose alltägliche Phänomen so durchschauen und beziffern konnte (Galilei, Kepler, Newton, Euler, Gauß ...), dass man heute Häuser bauen kann, die einen halben Kilometer hoch sind - oder Menschen auf den Mond schießen (leider zu wenige immer noch, und bisher immer die falschen). Das Bemerkenswerte dabei ist: Leonessa kann dieses so genannte Gravitationsgesetz nirgendwo fassen, ihm Einhalt gebieten, es verändern. Obwohl es doch überall und immer präsent ist - und war, und sein wird. Es hat sozusagen das ewige Leben. Es ist komplett abstrakt, offenbar eine rein geistige Angelegenheit. Man kann die Gravitation nichteinmal "schauen", sondern nur erfahren und denken. Sie ist immateriell und doch alle Materie beherrschend. Das nenne ich transzendent.

Das Gravitationsgesetz ist nur ein Beispiel. Hinter allen, hinter ausnahmslos allen Phänomenen der Wirklichkeit steht eine solche Transzendenz. Auch hinter Leonessa. Mit Leonessas Seele und Gefühle hat das gar nichts zu tun, auch nicht mit ihrer körperlichen Erscheinung - die sind nur ein Ausdruck, eine kausale Folge der transzendenten Leonessa. Die wahre Leonessa dagegen ist komplett transzendent. Ein Mysterium. Bitte beachten, dass ich den gesamten Bereich des Seelischen (meinetwegen auch des Feinstofflichen) dem Diesseits zuordne. Die allgemeine oder individuelle Konfiguration einer Seele ist dagegen (für mich) wiederum transzendent. Die Transzendenz ist mithin das absolute, abstrakte, aber kausale und wirkmächtige Jenseits. Sie existiert zweifellos. Ihr übergeordnet ist nur das Sein an sich ...

Den Vorgang des Heraustretens aus der Transzendenz hinein die Wirklichkeit (diese damit erschaffend) darf ich hier der Einfachheit halber einmal als Schöpfung bezeichnen, im Individuellen könnte man es Geburt und Tod nennen. Meinetwegen gehört hierher auch die Wiedergeburt, der endlose Kreislauf des Lebens und Sterbens, inklusive die ganzen Zwischenzustände der seelischen Konfigurationen durch die endlose Kette von Verfleischlichungen hindurch ...

Gibt es aber auch den umgekehrten Weg? Kann man diesem Kreislauf entfliehen? Zurücktreten in die Transzendenz?

Nein, diese Tür ist verschlossen. Die Schöpfung, einmal in Gang gesetzt, ist eine Einbahnstrasse.

Oder doch nicht?

Einige haben es schon immer geahnt und daran gearbeitet. Die Traditionslinie des Dzogchen beispielsweise ist viele Jahrtausende alt, vielleicht ist sie die älteste unter den heute öffentlich bekannten. Über das Konzept der Kaivalyam wird schon in den Vedas und Upanishaden diskutiert, das hinduistische Pendant ist Moksha, das buddhistische Nirvana, und selbst die spät gekommenen moslemischen Sufis sind folgerichtig auf die Fana gestoßen, haben den Qutb gesehen. Niemand aber hat so klar und deutlich von dieser Sache gesprochen wie Jesus von Nazareth, dazuhin in aller Öffentlichkeit, vor dem einfachen Volke. Er hat außerdem anschaulich vorgelebt, wie dieser Weg zurück in die Transzendenz aussieht, und ist ihn mit äußerster Konsequenz selbst gegangen, bis in den Tod - und eben durch den Tod hindurch. Den Begriff RELIGIO kann man mit Rückbindung übersetzen - dem Menschen ist sie möglich, er kann aus der Materialität und aus dem Seelischen wieder heraustreten, zurück in die kausale Transzendenz. Das ist einzigartig. Dieser Schritt wird im Christentum als "Auferstehung" bezeichnet, ins ewige Leben hinein, eine Aufnahme in das "Reich der Himmel".

Wer vom naturwissenschaftlichen bzw. vom naturphilosophischen Standpunkt aus diesen Sachverhalt begreifen möchte, dem empfehle ich eine nachhaltige Beschäftigung mit dem Grabtuch von Turin, mit dem Bluttuch von Oviedo sowie mit dem Schleier von Manopello. Das müßte eigentlich schon genügen. Begreifen heißt aber nicht, den Weg (= Nachfolge Jesu) auch gehen und praktizieren zu können. Und dabei kommt man am Neuen Testament dann doch nicht vorbei (und an der davon abhängigen guten Lehre und Moral). Im NT ist der Sachverhalt allerdings selbst nur diskret angesprochen (weil er für die Damaligen ein völlig unbegreiflicher Vorgang war). Ausführlich aber wird dargelegt, mit welcher Lebensweise er notwendigerweise verbunden ist.

Bitte bedenken: Buddha und all die Lamas werden inkarniert und machen dann jeweils ihre Jobs. Das ist OK und respektabel. Aber sie sind nicht immer, überall und für jedermann tagtäglich da. Jesus dagegen schon. Aus dem Islam kenne ich nur einen Fall (wäre dankbar für weitere Hinweise!), dass Mohammed - Allah sei ihm bitte gnädig - nach seinem Tode noch gesprochen hätte, ich vermute mal, Mohammed hat Besseres im Paradiese zu tun. In den letzten zweitausend Jahren gibt es dagegen unzählige Berichte darüber, dass Jesus jemand erschienen ist und ihn angesprochen hat. Kurios - oder nicht? Warum ist das so? Schwierig auszudrücken. Einerseits liegt es daran, dass er real da ist, jederzeit kann er aus der Transzendenz heraustreten und wieder in sie zurückgehen. Zum anderen ist er, wie auch Maria oder Maria Magdalena, eine Konfiguration der menschlichen Seele. In jeder menschlichen Seele gibt es eine Anlage, eine vorbereitete Entwicklungsstruktur, die - unter Anderen - Jesus von Nazareth vollkommen verwirklicht und entfaltet hat. Diese Anlage ist der Anknüpfungspunkt für Begegnungen mit ihm, mögen sie, weil unvollkommen, noch hysterisch sein - oder auch sehr real und tief das Leben beeinflussend. Man muss diese genannten Anlagen nicht entwickeln. Niemand zwingt dazu. Der Hahn hat die Anlage zum Krähen, aber viele Küken landen im Grill, bevor sie überhaupt einmal gekrächzt haben. Wohl dem, der seine Chance wahrnimmt (=die frohe Botschaft hört)!

Und damit komme ich zurück auf die Eingangsfeststellung, dass Moral und Gerechtigkeit PRIMÄR gar nichts mit dem Christentum zu tun haben. Das ist tatsächlich so. Und als Christ spricht man auch nicht über Gott, allenfalls zu ihm, gerne auch gemeinsam mit Anderen. SEKUNDÄR gibt es natürlich die Moral dann doch. Sie ist sogar essentiell. Denn wenn man die Straße in Richtung Transzendenz/Auferstehung einschlagen will, dann muss man sich einer bestimmten Moral letztlich befleißigen. Und je entschiedener, desto besser (daher das Wangen-Hinhalten). Es gibt nichts Radikaleres als gutes Christentum. Allerdings schneiden die wahren Christen nicht anderen Menschen den Kopf ab - sondern nur sich selbst. Der wahre Christ sinniert absolut nicht über die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Welt, sondern er hilft wo er kann - bekommt aber keine grauen Haare wegen dem Gang der Weltgeschichte. Letzterer ist sogar total uninteressant. Vielmehr sorgt der wahre Christ, sich aus sämtlichen Bindungen der Welt zu lösen. Wenn man nichts hat und nichts ist, und vorzugsweise nachgibt (=die Schuld der Welt trägt), dann fällt das alles leichter. Und ist doch so schwer. Die innere Logik der Transzendenz jedenfalls ist Entsagung und Läuterung. Man kann aus der Welt nur heraustreten, wenn man sie (für sich) aufgegeben hat. Das ist in den oben genannten anderen Religionen übrigens genauso, auch in all jenen echt spirituellen Traditionen, die nicht zu einer Großreligion ausgewachsen sind **). Wer nicht stirbt, bevor er stirbt, stirbt halt, wenn er stirbt.

Das waren, mit herzlichen Grüßen (heute besonders an Elfe),
Sagittas Worte zum Sonntag.

**) Eine faszinierend komplette und detailgenaue Beschreibung des Weges in die Transzendenz, so wie ihn die Indios in Mittelamerika gehen (auf sehr alten toltekischen Traditionen fußend), findet sich beispielsweise in den Büchern von Carlos Castaneda, wobei lediglich in Betracht zu ziehen ist, dass Castaneda anfangs nicht wirklich begriffen hat, um was es bei der Lehre ging, die ihm gegeben wurde.


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