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Die Vorlagen der Maria S. (+ Zusatz) (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 12.05.2016, 18:26 (vor 2899 Tagen) (8926 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Donnerstag, 12.05.2016, 18:47

Hallo!

Ich will auf diesen Teilfaden im Prophezeiungsforum hinweisen und es hier für spätere Bezüge dokumentieren, da ich befürchte, daß diese Information ignoriert werden wird wegen ihres unangenehmen Charakters. Es ist aber meines Erachtens wichtig zur Bewertung der Maria S.

Rubenstein am 12. 5. 2016

Auf meine Frage nach den "großen Visionen", die Maria S. gehabt haben soll, antwortet mir Rubenstein:

Obwohl Maria auch im klassischen Sinne „sieht“ (Beispiel: Sie hat „gesehen“, wie Mütter während des kommenden Hungerkrieges so verzweifelt sind, dass sie sogar ihre eigenen Säuglinge auf die Straße schmeißen) [...]

Daß Mütter aus Verzweiflung ihre Säuglinge auf die Straße schmissen, deckt sich allerdings weitgehend mit älteren Fragmenten aus der Volkssage.

Aus diesem Beitrag:

Diese Stelle stammt nahezu eins zu eins von einem vermeintlichen (!) Düsseldorfer Kapuzinerpater von 1762:

"Sie werden aus Lust morden, sengen und brennen, so daß Mütter aus Verzweiflung, weil sie überall den Tod vor Augen sehen, sich mit ihren Säuglingen ins Wasser stürzen werden."

Das Problem bei der Sache: Bei all diesen angeblich alten Quellen handelt es sich nicht um echte Seher, sondern um Wandermotive aus der Volkssage, die größtenteils fiktiven (also erfundenen) Figuren zugeschrieben wurden (Beispiel: elsischer Junge, Peter Knopp usw.). Alternativ haben existierende Personen selbst Fragmente der Volkssage nur weitererzählt, ohne selbst gesehen zu haben.
Für die Glaubenwollenden: Das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern wurde bereits von Generationen von Volkskundlern untersucht. Beispiele beim Kapuzinerpater, die sich mit anderen (legendären) Trägern der Volkssage decken:

Kapuzinerpater: "Wenn die Frauensleute nicht wissen, was sie vor Üppigkeit und Hochmut für Kleider tragen sollen, bald kurz, bald lang, bald eng, bald weit".
Fuhrmannl: "Auch die Weiber wollen dann alle Tage anders gekleidet sein, bald kurz, bald lang; selbst in Mannskleidern werden sie gehen und verschiedene Farben haben, daß man sich wundern wird."

Kapuzinerpater: "Ein schwerer Krieg wird im Süden entbrennen, sich nach Osten und Norden verbreiten."
Birkenbaumsage (ältere Fassung) "Nachdem die einzelnen Völker sich lange gegenseitig bekriegt haben, Throne zusammengestürzt sind, Reiche umgestürzt wurden, wird der unverletzte Süden gegen den Norden die Waffen ergreifen."

Kapuzinerpater: "Da, wenn die Not am größten ist, wird ein Retter kommen von Süden her; er wird die Horden der Feinde schlagen, und Deutschland glücklich machen."
Birkenbaumsage (jüngere Fassung): "Auf der einen Seite wird stehen Rußland, Schweden und der ganze Norden, auf der andern Seite Frankreich, Spanien, Italien und der ganze Süden unter einem starken Fürsten. Dieser Fürst wird von Mittag kommen."

Das sollte reichen, um zu zeigen, daß der Kapuzinerpater, falls er überhaupt je lebte, keine eigenen Schauungen hatte, sondern fremdes oder zeitgenössisches Material aufgriff.

Nun erzählt Maria S. eine angeblich eigene Schauung, die sich mit der Aussage des angeblichen Kapuzinerpaters (besser "Volkssage") weitgehend deckt.
Das indiziert mit großer Sicherheit, daß Maria S. desgleichen gar nicht gesehen hat, sondern lediglich selbst angelesene Volkssage weitererzählt!

Leider hat sie damit mitnichten ihre angebliche Sehergabe bekräftigt, sondern sich selbst des Abkupferns überführt.

Es ist mit den älteren Prophezeiungen hinsichtlich der Überlieferung wie mit den Volksmärchen, die später von Grimms gesammelt und verfestigt wurden. Wenn verschiedene Quellen an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten ähnliche Geschichten erzählen, bedeutet das nicht, all diese Quellen hätten zufällig dieselbe Geschichte mit ähnlichen Motiven und Wendungen erfunden. Es zeigt vielmehr an, daß ein Zusammenhang besteht: entweder voneinander abgeschrieben oder eine gemeinsame Urquelle. So ist es auch mit den Prophezeiungsfragmenten aus der Volkssage. Es besteht ein entstehungsgeschichtlicher Zusammenhang.
Wenn nun Maria S. ähnliches berichtet, bedeutet das bestenfalls, daß sie auf Grundlage angelesener Information sich selbst Pseudo-Schauungen induziert hat. Schlimmstenfalls bedeutet es, daß sie angelesene Literatur als eigene Schauung ausgibt. Meine Oma hat Hänsel & Gretel aber auch nicht erfunden, nur weil sie mir die Geschichte wiederholt erzählt hat – und mir als Kind nicht klar war, daß es sich um ein Jahrhunderte altes Volksmärchen handelt!

Zusatz: Wenn es sich bei der Aussage des Kapuzinerpaters nicht um ein Fragment der Volksprophetie, sondern um echte Seherschau handelte, könnte man Maria S. zugestehen, sie hätte das selbe gesehen.

Die Aussagen der Volkssage sind allerdings nicht authentische Schauungsberichte, sondern kleiden eine Grundinformation mit womöglich wahrem Kern in ein allegorisches Bild, das sich jemand ausgedacht hat.
Dieses Bild kann natürlich nicht von einem anderen Seher gesehen werden, weil es nicht real/echt ist. Die Grundinformation könnte hingegen möglicherweise von einem Seher gesehen werden, aber in ein anderes Bild gekleidet. Wenn Maria S. in Anlehnung an den Kapuzinerpater von Müttern berichtet, die ihre Säuglinge irgendwo hin stürzten, also lediglich die äußere Form der Geschichte übernimmt, hat sie nicht die Grundinformation gesehen, sondern abgekupfert.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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