Buch: Prophezeiungen Alter Aberglaube oder neue Wahrheit (Frau von Ferriem) (Schauungen & Prophezeiungen)

Fred Feuerstein, Freitag, 24.12.2010, 10:57 (vor 4843 Tagen) (5317 Aufrufe)

Prophezeiungen
Alter Aberglaube oder
neue Wahrheit?

Von Dr. Max Kemmerich
Copyright 1911 by Albert Langen, Munich

Internetscan des Buches: http://www.archive.org/stream/prophezeiungenal00kemm/prophezeiungenal00kemm_djvu.txt


Auszug:

Zehntes Kapitel

Die Prophezeiungen der Frau
de Ferriem

Frau von Ferriem (dies der Mediumname), eine
in Berlin wohnende Dame mit der Gabe des räum-
lichen und zeitlichen Fernsehens, hat fast täglich
Visionen, über die sie in ihrem Büchlein ,,Mein
geistiges Schauen in die Zukunft" berichtet. Neben
den abenteuerlichsten Gesichten: über den Untergang
des Mohammedanismus (S. 81), den kommenden
Weltreformator (S. 88), einen neuen König in Jeru-
salem (S. 91), den Sieg des Christentums in Ostasien
(S. 93) oder gar über den Untergang des Papsttums,
eine neue Zeitrechnung und eine ,, neue Erde" (S. 98f.),
Visionen, deren religiös*phantastischer Inhalt uns die
Weisheit der alten Theologen bewundern läßt, die
die Unmöglichkeit von den Glauben betreffenden
Prophezeiungen behaupteten, finden sich profane von
allerhöchstem Interesse.

Das möge die nachstehend angeführte Reihe von
Beispielen beweisen!

Die „ Zeitschrift für Spiritismus", vom24:. Juni 1899)
brachte folgenden Artikel:

*) Leipzig, 5. Bd.. Nr. 25, S. 220.

526

In Nr. 46, Jahrgang 1898, der amerikanischen
Wochenschrift „Lichtstrahlen*“, Zeitschrift für Philo-
sophie, Wissenschaft usw. WestPoint, Nebr., be*
findet sich folgender Redaktionsartikel ^):

Erfüllte Voraussage. Im Juniheft der in
Leipzig erscheinenden ,, Psychischen Studien** finden
wir eine Notiz, in der über einen Artikel in dem
„Illustrierten Wiener Extrablatt** Nr. 114 vom
26. April 1898 bezüglich der Aussagen der Berliner
Seherin berichtet wird. In derselben lautet ein Aus*
Spruch der Seherin, welche über eine blutige Zukunft
in Deutschland, Krieg und viele Duelle in Frankreich
berichtet, wie folgt: „Ich sehe viel Blut in Frankreich;
Dreyfus kommt von der Insel fort.** — Dies
v/urde im April 1898 gegeben, als noch niemand eine
so große Bewegung zu Gunsten Dreyfus, wie sie
augenblicklich in ganz Frankreich im Gange ist,
ahnen konnte, und scheint bereits in Bezug auf
Dreyfus seine Bestätigung gefunden zu haben;
denn den neuesten telegraphischen Meldungen nach
zu urteilen, scheint Dreyfus nicht mehr auf der
Teufelsinsel zu sein und bereiten sich in Frank*
reich unangenehme Dinge vor.

Zu der Zeit als die ,, Lichtstrahlen** diese Mit*
teilung brachten (23. September 1898), hatte Dreyfus

*) Zitiert nach de Ferriem , Mein geistiges Schauen in die
Zukunft, Berlin 1905, S. 67 f. Die im Text angegebenen Zitate
der Druckorte und Daten wurden von mir nachgeprüft und, bei
mangelhafter Wiedergabe, korrigiert. Finige seltene Zeitschriften,
so die ,, Lichtstrahlen", konnten nicht verglichen werden. Da
aber stets Organe herangezogen wurden, in denen die angekün«
digtcn Kreignisse vor ihrem i'.intritt veröftentlicht waren, so
ist auch in diesen I allen das Material einwandfrei.

327

indes die Insel noch nicht verlassen; jedoch nun*
mehr — am 8. Juni 1899 — ist die bezügliche Weis?
sagung der Berliner Clairvoyante (de Ferriem) ein=:
getroffen."

Das heißt mit anderen Worten: Frau de Ferriem
hat nachweisbar, und zwar durch vorher im
Druck erschienene Voraussagen, die Frei==
lassung des Fiauptmann Dreyfus IV2 Jahre vor
ihrem Eintritt prophezeit.

Im Januar 1898 erschien in den ,, Neuen Spiri?
tualistischen Blättern** in Berlin folgender Visionsbe?
rieht der Frau de Ferriem:

Brand im Hafen von New York. (Die Seherin
blickt anscheinend auf einen ca. 5 Meter von ihr enU
fernten Punkt des Fußbodens starr mit weit geöffneten
Augen hin und spricht darauf nach wenigen Augens=
blicken stillen Verhaltens in dieser Stellung folgendes) :

,,Das ist ein großer Brand, ein mächtiges Feuer.
So viele Schiffe. Es brennt ein Schiff. (Das Medium
senkt das Haupt und schließt die Augen dabei.)
Alles schwarzer Rauch, kohlrabenschwarzer Rauch;
o, und wie dick! Das ist am Land. Das brennt im
Hafen. Oh, o, das ist aber schlimm. (Hebt den
Kopf etwas und senkt ihn wieder. Dann schlägt es
die Augen auf und sagt): Nimm ab, nimm mal das
Tuch ab^). (Noch etwas benommen, ruft sie darauf):
Ist ein Riesenbrand in New York. Ich sehe ihn ja."
(Das Medium war schon in New York und hat da=
her die in der Vision erschaute Stadt jedenfalls als
New York erkannt.**

Dieser Zuruf gilt ihrem Begleiter, Kerkau bzw. Godefroy,
dem wir die stenographischen Berichte verdanken.

328

Eine weitere, dasselbe Ereignis betreffende
Prophezeiung erschien u. a. im Maiheft 1899 der
„Psyche", Berlin, und im Juniheft 1899, der
„Übersinnlichen Welt", S. 205, Anm., Berlin, gelegent*
lieh eines Visionsberichtes der Dame über Ereignisse
im 20. Jahrhundert. Sie lautet:

, „Ich sehe ein brennendes Schiff im Hafen von
jNew York und höre einen furchtbaren Knall. So*
Iviel ich sehe, ist es kein amerikanisches Schiff. Die
IStadt ist New York; ich irre mich nicht, weil ich sie
f genau von meiner Amerikareise her kenne."
i Bekanntlich traf diese doppelte Prophezeiung

I am 30. Juni 1900 ein. Damals ereignete sich die
j furchtbare Schiffbrandkatastrophe im Hafen von
New York, durch die der Norddeutsche Lloyd
schweren Schaden erlitt, aber keine amerikanische Ge*
Seilschaft geschädigt wurde. Das Feuer griff vom
Hafen auf einen Teil der Hafenanlagen von Hoboken
über.

Daß diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen
war — was ja mit dem schlechtesten Willen niemand
wird bestreiten können — konstatierte der New York
,, Herald" bereits am anderen Tage. Dieses große Blatt
hatte auch am 25. April 1899 die Vorhersage der
Frau von Ferriem bereits publiziert gehabt').

Auch die furchtbare Erdbebenkatastrophe auf
der Insel Martinique wurde von Frau de Ferriem
vorher gesehen.

Die „Zeitschrift für Spiritismus" brachte in ihrer
Nummer23 vom y.funi 1902 darüber folgenden Bericht:

*) Gleichfalls zitiert nach de Ferriem a a. O.

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Die furchtbare Katastrophe, von welcher die
Antillen^nsel Martinique heimgesucht worden ist —
durch die entfesselten Kräfte der Erde wurde am
Himmelfahrtstage (1902) die Stadt Pierre und deren
Umgebung, ein paradiesisch schöner Fleck Erde,
vollständig verheert, wobei Zehntausende von Men?
sehen auf die entsetzlichste Weise ihren Tod fanden —
ruft folgenden Ausspruch der Berliner Somnambulen
Ferriem, welcher zuerst in der „Zeitschrift für Spiri^
tismus" vom 24. Juni 1899 (S. 221), sowie weiterhin
in der Schrift ,,Die Seherin (de) Ferriem" Ausgabe 2,
vom 20. September 1899, und in der „Spiritistischen
Rundschau", Berlin, Juli 1901, publiziert worden ist,
lebhaft in Erinnerung:

„Berlin, 10. Mai (1899). (Die Clairvoyante
nicht im Trance:) ,In wenigen Jahren wird sich ein
großes Erdbeben ereignen. Es dürfte im Jahre 1902
sein. Ich habe es aus den Gestirnen berechnet. Ich
könnte höchstens um ein Jahr zurückgerechnet haben.
Die Sache differiert zwischen 3 und 4 Jahren; aber
4 Jahre werden nicht voll von jetzt an gezählt. Das
Beben wird so furchtbar sein, daß selbst Kabel*
Zerstörungen vorkommen werden."

Die Voraussage wurde also genau drei Jahre
vor der Katastrophe gegeben. Durch die Erwähnung
der Kabel Zerstörungen wurde in der Prognose da*
rauf hingewiesen, daß das schreckliche Ereignis sich,
wie geschehen, auch speziell am Meere abspielen
würde. Infolge des den Eruptionen des Mont Pele
vorangegangenen und dieselben begleitenden starken
Erdbebens zerrissen die Kabel, sodaß die Ver*
bindung zwischen Martinique und der Außenwelt

530

während der Katastrophe vollständig abgeschnitten
war. Eine weitere Meldung besagt: Der Komman?
dant des Kreuzers „Suchet** hat die Stadt und die
Umgebung durchforscht und berichtet, daß sich im
nördlichen Teile der Insel große Spalten gebildet
haben, daß das ganze Gelände sich in Bewegung
befindet und daß sich plötzlich neue Täler bilden^).

Man wird bei einiger Skepsis gegen diese Prophes^
zeiung, deren hoher Wert ja gleichfalls darin besteht,
daß sie vorher, noch dazu an mehreren Stellen, im
Druck erschienen ist, einwenden, daß irgendmal an
irgendeinem Ort der Erde mit Naturnotwendigkeit
Erdbeben eintreten müssen. Das ist ja gewiß richtig.
Da eine Ortsbezeichnung — auch nur ungefährer
Art — fehlt, so käme ja der ganze Erdball in Frage.

Und doch ist dem entgegen zu halten, daß das
Unglück von Martinique seit dem im Jahre 1883 er^
folgten furchtbaren Ausbruch von Krakatau in der
Sundastraße, der direkt oder indirekt auf der ganzen
Erde sich bemerkbar machte, das größte seiner Art im
letzten halben Jahrhundert war. Ferner, daß die
Prophezeiung wenigstens zeitlich, wenn auch nicht
örtlich, erstaunlich genau eintraf. Immerhin geben
wir gerne zu, daß die vorher genannten Vorhersagen
für die Tatsache, daß es Prophezeiungen bzw.
Menschen gibt, die die Gabe des zeitlichen Fern^
Sehens besitzen, beweiskräftiger sind.

Was übrigens den von Frau de Ferriem ge^
brauchten Ausdruck „aus den Gestirnen berechnet"
und ,, zurückgerechnet'* betrifft, so bemerkt die Dame

') Fcrricm, ,,Mcin geistiges Scliaucn usw.", S. 66t.

33jl

dazu, dal^ sie sich nicht mit astrologischer Berechnung
betafk und eine solche auch hier nicht vorliegt. Viel?
mehr meint sie damit die Deutung von Erscheinungen,
die sie ,,mit geistigem Auge am Sternenhimmel be^
obachtete" ^). Ich gebe zu, daß ich mir von diesem
Modus des Hellsehens keine rechte Vorstellung
machen kann. Doch das will ja um so weniger für
die Sache selbst bedeuten, als uns der Weg, auf dem
die Somnambulen zu ihren Prophezeiungen gelangen,
zurzeit überhaupt noch dunkel ist.

Während die vorige Prophezeiung der Frau
de Ferriem den Ort mit Namen und der Szenerie
nach genauestens angab, sowie den Verlauf der Kata?
Strophe schilderte, ist diese interessant durch ihre
Zeitangabe. Wie die Seherin sagt — und wie ja
ein Vergleich der wiedergegebenen Prophezeiungen
auch ergibt — kommen bestimmte Zeitangaben bes=
züglich des Eintreffens ihrer Gesichte fast gar nicht
vor. Erfahrungsgemäß sind aber Zeitangaben von
Sehern, auch wo sie gemacht sind, ziemlich unzuver?
lässig, und zwar aus einem sehr naheliegenden Grunde.
Da es sich bei den Gesichten doch um räumlich
anschauliche Vorgänge handelt, die die Aufmerkst
samkeit des Sehers ganz und gar auf sich ziehen, so
verwirren sich eventuelle zeitliche Bestimmungen in
allen derartigen Angaben leicht. Dazu kommt aber
noch ein Moment: Je deutlicher die Vorgänge ge?
sehen werden, desto näher steht — das ist aber natürlich
nur Vermutung — ihr Eintritt bevor. Mag dieser
Anhaltspunkt richtig sein, so fehlt doch ein fester

') Eb. S. 67.

552

Maßstab vollkommen. Es handelt sich naturnot^^
wendig um eine Taxe. Wie sollte denn in einem
räumlichen Bilde, sagen wir dem der Landschaft oder
eines untergehenden Schiffes auch eine Zeitangabe
unterzubringen sein? Höchstens daß neben die
visuelle Vision noch eine akustische treten müßte, die
das Datum zuruft. Oder daß durch Zufall etwa
ein Abreißkalender mit bestimmtem Datum erblickt
wird. Sonst ist ja der Natur der Sache nach eine
bestimmte zeitliche Fixierung ausgeschlossen. Es
kann sich — von seltenen Ausnahmen abgesehen —
immer nur um approximative Schätzungen handeln.
Aber auch sie sind aus inneren Gründen nur dann
richtig, wenn ein und dieselbe Seherin aus zahlreichen
Selbstbeobachtungen eine gewisse Praxis in der zeitlichen
Fixierung eines räumlichen Bildes gewonnen hat.

Erfahrungsgemäß ist die Mehrzahl der Ge^
sichte tragisch. Ob das daher kommt, daß das
Tragische im Leben überwiegt, oder weil sehr unglück*>
liehe Ereignisse die Nerven am stärksten erregen?
Genug, es ist so. Dabei zeigt sich aber, daß häufig
ein Ereignis nach der schlimmen Seite hin noch über^
trieben wird.

Frau de Ferriem führt als Beweis dafür die Vor*
hersage des im Mai 1897 eingetroffenen furchtbaren
Brandes des Wohltätigkeitsbazars in Paris an^).

Diese Katastrophe wurde unter anderm auch
in dem in England weitverbreiteten, Prophezeiungen
für das laufende Jahr enthaltenden Volkskalender
,,OId Moores Almanack" vorhergesagt. Die be*

•) S. 68. Anm. Hier auch das rolK'cndc ..Old Moore"
bctrcFfcnde. das ich leider nicht kontrollieren konnte.

333

tretende Stelle in der bereits 18% erschienenen Aus^
gäbe für 1897 lautet: ,,Fast mit Sicherheit werden
wir in den letzten Tagen des April eine Nachricht
von einem furchtbaren Feuer in Paris hören, welches
viele Menschenopfer verschlingen wird, während eine
Schar Banditen unter den Trümmern Beute zu machen
suchen wird.** Die Schar Banditen sind Irrtum. Frau
de Ferriem glaubt ihn damit erklären zu können,
daß der Seher in der Vision Leute nach den Et^
kennungszeichen, Kleinodien und Leichenresten suchen
sah. Für denjenigen, der die Existenz von Visionen^
die wir uns etwa einer in unser Inneres verlegten
Fata Morgana ähnlich vorzustellen haben, zugibt —
und das muß doch wohl oder übel jeder, der die
Macht der Tatsachen höher bewertet, als ein gegen*
wärtig noch herrschendes aber bald gleich anderem
Gerumpel aus der Zeit des Materialismus ad acta
gelegten Dogma — hat dieser Erklärungsversuch viel
Wahrscheinlichkeit für sich.

Übrigens sei im Vorbeigehen bemerkt, daß ,,01d
Moore*' damals in seinem Kalender den Tod des
Herzogs von Clarence auf den Tag vorausgesagt hat.
Auch der Untergang der ,, Victoria" stand in seinem
Kalender prognostiziert, nur irrte sich der Alte um
eine Woche.

Daß Übertreibungen nach der schlimmen Seite
hin an der Tagesordnung sind, ist nichts weniger als
verwunderlich. Denn wenn wir einen großen Brand
oder ein Unglück sehen, stellen wir es uns ja auch
im ersten Schrecken fast ausnahmslos bedeutend
schlimmer vor, als es in Wirklichkeit ist. Man lese
nur die Unglücksfälle in irgendeiner Zeitung nach

334

und wird finden, daß mit seltenen Ausnahmen die
ersten Nachrichten stark übertrieben wurden, um erst
allmählich ihre richtigen Dimensionen anzunehmen.

Am 15. Mai 1897 erschien im „Führer", Mil^
waukee (Wisc.) und am 18. September 1897 in der
„Kritik", Wochenschrift des öffentlichen Lebens, Berlin,
folgender Visionsbericht:

„Kohlengruben!> Unglück bei Brüx (Dux),
Böhmen.

Erstes Gesicht. (Die Dame schließt die Augen
und spricht): Schrecklich, die Menschen alle hier bei
der Grube! Wie bleich sie aussehen! — Wie die
Leichen. — Ach, das sind ja auch lauter Leichen.
Ja, sie kommen heraus und werden jetzt alle fort::
gebracht. Und die ganze Gegend ist so schwarz,
und es sind lauter kleine Hütten da. Die Leute,
die ich sehe, reden eine andere Sprache, auch ver*
schiedene Sprachen, — alles durcheinander. Und so
leichenblaß sind sie alle! — Jetzt wird da einer heraus^
gebracht, welcher einen Gurt mit einer blanken
Schnalle um hat. Es ist Weihnachten bald; eine
Hundekälte. Dort ist einer, der hat eine Lampe mit
einem Gitter. — Es ist ein Kohlenbergwerk. Es
ist alles so schwarz und so kahl. Ich sehe bloß die
alten Hütten. Die ganze Gegend ist so öde. — Ich
verstehe, was der eine da jetzt sagt. Er sagt: ,,Die
Arzte kommen alle aus Brüx" . . . Ach, das ist ein
böhmischer Ort . . . Siehst du denn nicht? (Ich
sehe nicht) . . . Was? Du siehst nichts! (Letzteres
sagt die Seherin sozusagen erschreckt und schlägt die
Augen au F.)

Zweites Gesicht. (Am Nachmittage des auF

335

die erste V^ision folgenden 1 ages.) Wie traurig das
hier aussieht! Die Menschen alle: O weh, so viele! —
So viele Frauen sind da; wie sie weinen! Die Männer
sind tot; es leben nicht viele mehr. Sie sind alle
herau[gebracht worden. Ach, Gott, die Armen tun
mir so leid! Sieh mal, die Kinder alle! Wie die Männer
aussehen, sie sind ganz von Rauch geschwärzt, sind
gewiß alle in der Erde erstickt. — Das sind Böhmen.
Die Weiber und die Kinder haben Kopftücher um.
Ja, das sind Böhmen. Ach, die armen Menschen
nun gerade um die Weihnachtszeit. Ist doch
schrecklich! — Mit solch einem Zug, der eben an#
gekommen, bin ich schon gefahren. Da steht es dran;
der kommt doch über Eger. Ja, es ist Böhmen. —
Wie sie ciort liegen! — Das sind wohl Ärzte, die da
reiben? — Feine Männer. Viele haben Binden mit
einem Kreuz um die Arme. — Was haben die Frauen
und Kinder denn da in der Hand? Eine Kette.
Wozu haben sie die Kette? Ach, sie bekreuzigen
sich jetzt. Das ist ein Rosenkranz. Ach, sie beten;
aber sie weinen doch alle! — An dem Eisenbahnzug
sehe ich einen österreichischen Adler, einen Doppel^
adler. — Ach, das ist wohl ein Schaffner, der da
steht? Ich höre, was er sagt. ,,In den Kohlengruben
von Dux," sagt er; ich lese aber Brüx. Der da
hat's an der Binde. — Ach, die sind von der Sanitätss«
wache. — Aber sie können nichts machen mit den
armen Menschen. Sie fahren sie alle auf so komischen
Wagen fort. (Die Somnambule erwacht.)"

Diese Vision hatte Frau de Ferriem^) bereits im

^) Vgl. „Mein geistiges Schauen in die Zukunft", S. 63 f.
Den „Führer" und die „Kritik" konnte ich nicht einsehen, wohl

336

Jahre 1896. Vier Jahre später nun fand in den
Kohlenbergwerken von Dux beiBrüx inBöhmen
ein GrubensUnglück statt, bei dem sehr viele
Bergleute ums Leben kamen.

Da das Unglück aber nach der Mitte des Sep*
tember 1900 sich ereignete, so stimmt die Zeitangabe
bezüglich Weihnachtszeit und Kälte nicht. Wie aber
Godefroy, der die Vision nachgeschrieben hatte ^),
dem Dr. Walter Bormann schrieb 0, dauerte die Heraus^>
Schaffung der Leichen aus den Gruben mehrere
Wochen. Noch Ende Oktober wurde bei starker
Kälte eine Anzahl der Opfer zutage gefördert. Also
ging diese Vision vollkommen in Erfüllung.

Diese Prophezeiungen sind für uns von unschätz^>
barem Werte aus dem naheliegenden Grunde, weil
sie alle vorher im Druck erschienen sind, was ja
leicht nachkontrolliert werden kann. Mag man auch
zur Wahrhaftigkeit eines Zeugen, der das nachherige
Eintreten einer Voraussage behauptet, das größte Ver^
trauen haben, so wird man doch die Möglichkeit
eines Erinnerungsfehlers nie bestreiten können. Man
wird auch gern einwenden, daß der betreffende nur

aber ist im 3. Band der Zeitschrift für Spiritismus, S. 71, am
4. März 1899, darauf hingewiesen, daß die Erfüllung der Vision
noch ausstehe, ebenso auf S. 57, am 18. Februar in der gleichen
Zeitschrift. Also vor Eintreffen!


Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. (Karl Valentin)


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